Europäische Entsenderichtlinie ist modernisiert
Hintergrund
Eine vorübergehende Tätigkeit im europäischen Ausland gehört für viele Arbeitnehmer mittlerweile zur Normalität. Allein im Jahr 2016 wurden über 2,3 Millionen Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union entsandt. In den westlichen EU-Staaten stieg daher die Sorge um die Funktionsfähigkeit ihres Arbeitsmarkts, die sie durch osteuropäische Arbeitskräfte zu Dumpingpreisen gefährdet sahen. Seit 2016 wurde deswegen über eine Reform der mehr als 20 Jahre alten Entsenderichtlinie in zahlreichen Verhandlungsrunden in den europäischen Institutionen gestritten. Am 28.2.2018 haben sich Kommission, Rat und Europäisches Parlament auf einen Kompromiss zu einer umfassenden Novellierung der Entsenderichtlinie verständigt. Das Europäische Parlament hat den Änderungen am 29.5.2018 zugestimmt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss zwischen den Interessen der westlichen und östlichen Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssen die neuen Regeln bis Mitte 2020 umsetzen.
Zielsetzung
Löhne und Sozialstandards in den einzelnen EU-Ländern sind sehr unterschiedlich; so liegen die Arbeitskosten pro Stunde in Dänemark bei etwa 42 €, in Bulgarien dagegen bei nur 4,40 €. Deshalb können Unternehmen aus Ländern mit geringen Löhnen und Sozialbeiträgen die Preise für Dienstleistungen in wohlhabenderen Staaten unterbieten. Die Reform soll nun die Regeln für die Entsendung verschärfen, um Arbeitnehmer besser vor Lohn- und Sozialdumping zu schützen.
Gesetzesüberblick
Die ursprüngliche Entsenderichtlinie von 1996 regelt den Einsatz von Beschäftigten über Grenzen hinweg in anderen EU-Ländern. Bislang sieht sie lediglich gewisse Mindeststandards für entsendete Beschäftigte vor, beispielsweise die Zahlung des geltenden Mindestlohns oder die Einhaltung von Mindestruhezeiten. Gewerkschafter beklagen jedoch Schlupflöcher und Missbrauch. Ausländische Arbeitnehmer würden ausgebeutet und örtliche Sozialstandards damit ausgehöhlt. Daher wurden nun folgende Änderungen beschlossen:
Zukünftig gelten für entsendende Unternehmen nicht nur der Mindestlohn, sondern sämtliche Vergütungsvorschriften des Aufnahmestaates; neben gesetzlichen Regelungen also auch allgemeinverbindliche Tarifverträge, sodass entsandte Arbeitnehmer ab dem ersten Tag den gleichen Tariflohn wie ihre lokalen Kollegen erhalten. Erfasst sind dabei sämtliche Vergütungsbestandteile, die in den genannten Regelungen festgelegt sind, also auch Prämien und Zulagen oder Weihnachtsgeld, Schlechtwettergeld, Mobilitätsbeihilfen etc.
Entsendungen werden zukünftig auf zwölf Monate befristet. Sie können auf Antrag auf maximal 18 Monate verlängert werden. Danach gelten die gesamten verbindlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Aufnahmestaat für die entsandten Arbeitnehmer, mit Ausnahme von Vorschriften zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen und der betrieblichen Altersversorgung. Eine Umgehung der Befristung soll zudem verhindert werden; wird ein entsandter Arbeitnehmer durch einen anderen ersetzt, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausübt, so wird deren Entsendungsdauer addiert.
- Zukünftig dürfen Reise-, Verpflegung- oder Unterbringungskosten nicht mehr vom Lohn des Arbeitnehmers abgezogen werden. Stattdessen wird der Arbeitgeber diese Kosten übernehmen und eine angemessene Unterbringung seiner Arbeitnehmer gewährleisten.
Die Novelle der Entsenderichtlinie wird auch im Straßenverkehrssektor Anwendung finden, sobald die im sogenannten Mobilitätspaket der EU enthaltenen sektorenspezifischen Rechtsvorschriften in Kraft treten. Einen anderslautenden Vorschlag des Verkehrsausschusses hat das EU-Parlament abgelehnt.
Konsequenzen
Die Novelle der Entsenderichtlinie wird auch für deutsche Unternehmen spürbare Folgen haben. Die Arbeitgeberverbände befürchten eine massive Behinderung des europäischen Binnenmarktes und einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand. Betroffen sind vor allem die Baubranche, die Industrie und soziale Berufen wie etwa die Altenpflege. Ob sich an der bisherigen Entsendepraxis zukünftig etwas ändern wird, bleibt zunächst abzuwarten. Allerdings werden rechtmäßige Entsendungen zweifelsohne mit einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand einhergehen, der insbesondere kleinere Unternehmen vor Herausforderungen stellen wird.
Darüber hinaus bleibt auch unter der neuen Regelung ein entscheidender Unterschied zwischen entsandten und einheimischen Arbeitnehmern: entsandte Arbeitnehmer können nach wie vor Mitglied des Sozialversicherungssystems ihres Heimatlandes bleiben und sich somit häufig deutlich günstiger versichern, als etwa ihre deutschen Kollegen dies könnten.