Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die internationale Rechnungslegung
Der Ausbruch der Corona-Pandemie zu Beginn des Jahres 2020 hat weitreichende Auswirkungen – auch auf die Rechnungslegung. Gerade bei Unternehmen, die – gesetzlich oder freiwillig – nach internationalen Rechnungslegungsstandards bilanzieren, stehen für den kommenden Jahresabschluss weitreichende Änderungen ins Haus.
Nachfolgend sollen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Rechnungslegung nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) und den International Accounting Standards (IAS) anhand der Vorschriften IFRS 16 (Bilanzierung von Miet- und Leasingverträgen), IAS 36 (Wertminderung von Vermögenswerten) und IFRS 9 (Bilanzierung von Finanzinstrumenten) dargestellt werden.
Der IFRS 16 aus Sicht des Leasingnehmers
Der neue IFRS 16 (Bilanzierung von Miet- und Leasingverträgen) ist durch die Corona-Pandemie zunehmend in den Fokus der Unternehmen und Abschlussprüfer gerückt. Der Standard schreibt vor, dass nahezu alle Leasing- und Mietverhältnisse eines Unternehmens vollständig in der Bilanz des Leasingnehmers ersichtlich sein müssen. Im Zuge der Bilanzierung wird auf der Passivseite eine Leasingverbindlichkeit ausgewiesen, die den Barwert der zukünftigen Leasingzahlungen darstellt. Auf der Aktivseite wird dagegen ein Nutzungsrecht ausgewiesen. Die vollständige Erfassung und Bewertung der Miet- und Leasingverträge zum 1.1.2019 stellte viele Unternehmen bereits in den Zeiten vor Corona vor große Herausforderungen.
Probleme bei der Anwendung des IFRS 16 während der Corona-Pandemie
Durch die Corona-Pandemie ist ein hohes Volumen an temporären Änderungen (z.B. Stundungen oder Erlasse von Leasingzahlungen) bei Leasing- und Mietverträgen zu beobachten. Der IFRS 16 schreibt grundsätzlich vor, dass bei Änderungen der Vertragsbedingungen eines Leasing- oder Mietvertrags durch den Leasingnehmer beurteilt werden muss, ob es sich bei diesen Änderungen um Modifikationen des Vertrags handelt. Modifikationen liegen vor, wenn eine Änderung des Vertragsumfangs oder der Gegenleistung vereinbart wird, die nicht Bestandteil des ursprünglichen Vertrags war. Im Falle einer Stundung oder eines Erlasses der Miete würde es sich um eine Modifikation handeln, die nicht als gesondertes Leasingverhältnis bilanziert werden muss, da hierdurch der Umfang des Rechts auf Nutzung in der Regel unberührt bleibt. Die Bilanzierung des Vertrags muss in der Form angepasst werden, dass sowohl der Barwert der Verbindlichkeit als auch das Nutzungsrecht neu ermittelt werden.
Maßnahmen des IASB zur Erleichterung der Bilanzierung rund um den IFRS 16
Um die Komplexität von Modifikationen durch die Corona-Pandemie zu vermeiden, hat das International Accounting Standards Board (IASB) am 28.5.2020 den IFRS 16 ergänzt. Dem Leasingnehmer wird nach dieser Corona-bedingten Ergänzung ein Wahlrecht gewährt. Mietzugeständnisse im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie können weiterhin als Modifikation des Leasingverhältnisses nach den bislang geltenden Vorschriften des IFRS 16 behandelt werden. Alternativ sieht die Ergänzung vor, die Corona-bedingten Mietzugeständnisse als negative variable Leasingzahlung nach IFRS 16.38 (b) zu erfassen. Es ist auch möglich, eine anteilige erfolgswirksame Ausbuchung der Verbindlichkeit, in Abhängigkeit der Voraussetzungen des IFRS 9 zu erfassen. Ziel der Erleichterung ist es, den Leasingnehmern bei jedem Corona-bedingten Mietzugeständnis die Prüfung der Modifikation von Leasingverträgen zu ersparen.
Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts
Das Wahlrecht zur Erleichterung der Bilanzierung ist nur unter der Einhaltung von drei Bedingungen möglich:
- Der Leasingnehmer muss nachweisen, dass die Vertragsänderungen als Folge der Corona-Pandemie anzusehen sind.
- Es dürfen keine weiteren Änderungen am Vertrag vorgenommen werden, die nicht die Gegenleistung betreffen (z.B. eine Reduzierung der Mietfläche).
- Das Wahlrecht beschränkt sich grundsätzlich nur auf Zahlungen, die bis einschließlich Juni 2021 fällig sind.
Das Endorsement der Änderung in europäisches Recht wird für das vierte Quartal erwartet.
Der Werthaltigkeitstest nach IAS 36
Mittels des Werthaltigkeitstests des IAS 36 (Wertminderung von Vermögenswerten) sollen außerplanmäßige Wertminderungen zum Bilanzstichtag für materielle und immaterielle Vermögenswerte ermittelt werden. Der IAS 36 schreibt vor, dass an jedem Abschlussstichtag für die Vermögenswerte im Anwendungsbereich eingeschätzt werden muss, ob externe und/oder interne Anhaltspunkte (triggering events) für eine außerplanmäßige Wertminderung vorliegen. Dies gilt auch für Zwischenabschlüsse. Unabhängig von möglichen Anhaltspunkten sind der Geschäfts- oder Firmenwert und immaterielle Vermögenswerte mit unbestimmter Nutzungsdauer jährlich einem Test zu unterziehen.
Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ist zu erwarten, dass bei vielen Unternehmen Anhaltspunkte für eine (unterjährige) Wertminderung vorliegen. Beispiele für mögliche Anhaltspunkte sind u.a.
- umfangreiche nachteilige Veränderung des marktbezogenen oder ökonomischen Umfelds.
- nachteilige Veränderung bei der Nutzung von Vermögenswerten z.B. aufgrund von geplanten Stilllegungen.
- der Buchwert des Nettovermögens übersteigt seine Marktkapitalisierung.
Sofern Anhaltspunkte für eine (unterjährige) Wertminderung gegeben sind, muss ein Werthaltigkeitstest (Impairment Test) durchgeführt werden. Im Zuge dessen muss für den betroffenen Vermögenswert festgestellt werden, ob sein Buchwert (carrying amount) höher ist als sein erzielbarer Betrag (recoverable amount). Der erzielbare Betrag ist der höhere Wert aus dem beizulegenden Zeitwert abzüglich der Veräußerungskosten (fair value less costs of disposal) und dem Nutzungswert (value in use). Für die Ermittlung des Nutzungswerts als auch für die Ermittlung des Zeitwerts, im Falle der normalerweise zur Anwendung kommenden Bewertungstechniken, sind zukünftige Cashflows anhand der erwarteten Ein- und Auszahlungen abzuleiten und abzuzinsen. Sofern der Buchwert des Vermögenswerts höher ist als sein erzielbarer Betrag, muss gemäß IAS 36.59 eine außerplanmäßige Abschreibung auf den erzielbaren Betrag vorgenommen werden. Die daraus resultierende Wertminderung ist laut IAS 36.60 erfolgswirksam zu erfassen.
Probleme bei der Anwendung des IAS 36 während der Corona-Pandemie
Im Zuge der Corona-Pandemie tritt bei vielen Unternehmen der Fall auf, dass externe und/oder interne triggering events für einen unterjährigen Werthaltigkeitstest vorliegen. Aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Unsicherheiten werden viele Unternehmen bei der Ermittlung des erzielbaren Betrags vor große Herausforderungen gestellt. Ursächlich dafür ist, dass sowohl die ohnehin unsicheren zukünftigen Cashflows als auch der sich ständig an aktuelle Gegebenheiten anpassende Diskontierungszinssatz noch schwieriger einzuschätzen sind. Sofern der erzielbare Betrag deutlich unter den Buchwert sinkt, resultiert daraus ein Wertminderungsaufwand, der mitunter erhebliche Auswirkungen auf den Gewinn bzw. Verlust eines Unternehmens haben kann.
Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen
Um den Folgen der Corona-Pandemie hinsichtlich des Werthaltigkeitstests entgegenzuwirken, kann es für Unternehmen hilfreich sein, laufend zu analysieren, ob Anhaltspunkte für eine Wertminderung vorliegen, sodass eine unangenehme Überraschung am Abschlussstichtag ausbleibt. Ferner erscheint es sinnvoll, mittels Szenario- und Sensitivitätsanalysen den „Headroom“ zwischen erzielbarem Betrag und dem Buchwert weitergehend zu analysieren.
Die Wertminderung von Finanzinstrumenten nach IFRS 9
Mittels des Wertberichtigungsmodells des IFRS 9 (Bilanzierung von Finanzinstrumenten) sollen erwartete Kreditverluste (Expected Credit Loss (ECL)) für finanzielle Vermögenswerte ermittelt werden. Das Wertberichtigungsmodell ist auf zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertete Finanzinstrumente sowie u.a. auch auf Leasingforderungen und vertragliche Vermögenswerte im Anwendungsbereich des IFRS 15 anzuwenden. Im Zuge der Corona-Pandemie ist die Ermittlung des ECL für viele Unternehmen, vor allem Banken, herausfordernd. Das dreistufige Wertberichtigungsmodell des IFRS 9 stellt dabei auf eine Veränderung des Kreditrisikos seit dem Zugang des Finanzinstruments ab.
- Finanzielle Vermögenswerte, deren Ausfallrisiko sich seit Zugang nicht signifikant erhöht hat, sind der Stufe 1 zuzuordnen. Im Zuge dessen muss für besagte Vermögenswerte der Barwert der erwarteten Zahlungsausfälle für die nächsten zwölf Monate nach dem Bilanzstichtag ermittelt werden (12-month expected credit loss).
- Bei signifikanter Verschlechterung des Ausfallrisikos ist der betroffene Vermögenswert der Stufe 2 zuzuordnen. Die Risikovorsorge erfolgt in dieser Stufe über die gesamte Restlaufzeit des Finanzinstruments (lifetime expected credit loss).
- Weist ein finanzieller Vermögenswert neben der signifikanten Erhöhung des Ausfallrisikos objektive Hinweise für eine Wertminderung auf, ist er der Stufe 3 zuzuordnen. Zusätzlich zur Ermittlung des ECL über die Restlaufzeit muss auch die Zinserfassung für die folgenden Perioden angepasst werden. Zinserträge müssen demnach auf der Basis des Nettobuchwertes berechnet werden und nicht, wie noch in der 2. Stufe, auf Basis des Bruttobuchwerts.
Für Leasingforderungen, die aus Transaktionen des IFRS 16 resultieren sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und vertragliche Vermögenswerte aus dem Anwendungsbereich des IFRS 15, die zudem eine signifikante Finanzierungskomponente aufweisen, erlaubt der IFRS 9 eine vereinfachte Vorgehensweise. Optional darf hier vereinfacht auf die gesamte Restlaufzeit abgestellt werden, sodass eine aufwendige Nachverfolgung der Veränderung des Kreditrisikos entfällt. Für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie vertragliche Vermögenswerte ohne Finanzierungskomponente ist die vereinfachte Vorgehensweise verpflichtend.
Empfehlungen des IDW Bankenfachausschusses
Der Bankenfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat am 19.6.2020 einen fachlichen Hinweis bezüglich der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wertminderungen von Finanzinstrumenten von Banken nach IFRS 9 verabschiedet. Demnach gilt weiterhin die Auffassung, dass die Corona-Pandemie nicht zu einem undifferenzierten, automatischen Transfer von Finanzinstrumenten von der Stufe 1 in die Stufe 2 oder sogar Stufe 3 führe, da dies die tatsächlichen wirtschaftlichen Risiken deutlich überzeichnen könne. Im Zuge dessen wird empfohlen, dass Banken bei Anwendung der Kreditrisikomodelle zur Ermittlung des ECL ein höheres Gewicht auf langfristig stabile Szenarien legen und kurzfristigen Entwicklungen weniger Bedeutung beimessen sollen.
Weiterhin sei zu beachten, dass sich die Unsicherheiten der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung allmählich reduzieren, sodass sich ein längerer Verlauf der Krise abzeichne. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass sich die bilanzielle Risikovorsorge nach IFRS 9 zum 30.6.2020 erhöhe. Sollten die aktuellen Auswirkungen der Corona-Pandemie in den derzeitigen Kreditrisikomodellen noch nicht angemessen erfasst sein, sei es erforderlich, diese in Form von Post Model Adjustments anzupassen. Staatliche Stabilisierungsmaßnahmen seien risikomindernd zu berücksichtigen.
Es wird empfohlen, dass Banken unter Darlegung der wesentlichen Annahmen transparent über die Folgen der Corona-Pandemie berichten, um Adressaten die Möglichkeit zu geben, die Überlegungen und Einschätzungen des Managements besser nachvollziehen zu können.
Mögliche Auswirkungen für Industrieunternehmen
Industrieunternehmen, die aufgrund der vereinfachten Vorgehensweise ohnehin die gesamte Restlaufzeit betrachten, werden einmal mehr vor die Herausforderung gestellt, angemessene und belastbare Zukunftsinformation zu berücksichtigen, wobei historische Daten allein nicht ausreichend sein dürften. Insbesondere Industrien mit erheblichen Finanzierungskomponenten und Leasinggestaltungen im Ver-triebsmodell, wie beispielsweise im Maschinenbau, werden wohl ihre getroffenen Annahmen überprüfen und ggf. anpassen müssen.