Bundesfinanzhof verkündet Rentenurteile
Historische Entwicklung der Rentenbesteuerung
Bis 2004 unterlagen Renten nur mit einem geringen Ertragsanteil der Einkommensteuer. In der Praxis zahlten dadurch Rentner ohne weitere steuerpflichtige Einkünfte keine Einkommensteuer. Dagegen mussten Pensionäre (z.B. ehemalige Beamte) und Empfänger von Betriebspensionen ihre Altersbezüge voll versteuern. Das Bundesverfassungsgericht hatte hierin eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gesehen, sodass der Gesetzgeber mit Wirkung ab 2005 eine Neuregelung vornehmen musste. Seitdem sind im Grundsatz auch Rentenbezüge voll einkommensteuerpflichtig. Als Ausgleich können die zukünftigen Rentner aber ihre Altersvorsorgeaufwendungen und damit insbesondere ihre Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben von der Steuer abziehen, was dem Prinzip einer nachgelagerten Besteuerung entspricht.
Weil die Rentner ihre bis 2004 geleisteten Beiträge nicht in vollem Umfang steuerlich geltend machen konnten, wurde eine langfristig wirkende Übergangsregelung geschaffen. Bei Rentnern mit erstmaligem Rentenbezug bis einschließlich zum Jahr 2005 bleibt auf Dauer ein Betrag von 50 % der Rente des Übergangsjahrs 2005 steuerfrei. Bei einem späteren Rentenbezug vermindert sich der für den Freibetrag maßgebende Prozentsatz. Wer erstmals im Jahr 2021 eine Rente bezieht, profitiert nur noch von einem Steuerfreibetrag von 19 %. Ab dem Jahr 2040 müssen neu eingetretene Rentner ihre gesamte Rente versteuern. Auch für die als Sonderausgaben abzugsfähigen Beiträge gelten Übergangsregelungen. Im Jahr 2005 konnten zunächst nur 60 % der Altersvorsorgeaufwendungen abgezogen werden, im Jahr 2021 sind es 92 % und erst ab dem Jahr 2025 ist ein uneingeschränkter Abzug möglich. Obwohl das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber die Vermeidung einer Doppelbesteuerung verlangt hatte, wird in der steuerrechtlichen Literatur und in zahlreichen Verfahren vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof geltend gemacht, die gesetzliche Übergangsregelung führe in vielen Fallgruppen zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung.
Zwei richtungsweisende Verfahren vor dem Bundesfinanzhof
Vor dem Bundesfinanzhof hatten zwei Rentner geklagt. Im ersten Streitfall machte ein während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend selbstständiger Steuerberater geltend, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung aus größtenteils eigenem Einkommen geleistet zu haben, die er nur begrenzt als Sonderausgaben habe abziehen können. Die seit 2007 erhaltene Altersrente wurde im Streitjahr 2008 mit 54 % der Einkommensteuer unterworfen, 46 % waren steuerfrei. Nach eigener Berechnung waren vom Kläger deutlich mehr als 46 % der Rentenversicherungsbeiträge aus bereits versteuerten Einkommen geleistet worden. Er sah hierin eine Doppelbesteuerung.
Das galt auch für einen Zahnarzt, der als Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks und freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung im Streitjahr 2009 eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung erhielt. Zudem bezog er mehrere Rürup-Renten und zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung unterlag mit 58 % der Besteuerung, 42 % blieben steuerfrei. Wegen der hohen Beitragsleistungen in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die sogenannte Öffnungsklausel an, die es ermöglicht, die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil zu versteuern. Die Rürup-Renten unterlagen mit dem Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten mit dem Ertragsanteil der Einkommensteuer.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof hat beide Verfahren abgewiesen und hält grundsätzlich an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Rentenbesteuerung fest, stellt jedoch klar, dass es im konkreten Einzelfall nicht zu einer doppelten Besteuerung von Renten kommen darf. Eine Doppelbesteuerung werde vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch sei wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge. Eine Geldentwertung bleibe unberücksichtigt, weil eine solche Abweichung vom sogenannten Nominalwertprinzip weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht eine Grundlage habe. Infolgedessen können nach Auffassung des X. Senats Wertsteigerungen der Renten unabhängig von Inflation oder realer Erhöhung besteuert werden.
Für andere Rentner ist jedoch von wesentlicher Bedeutung, dass der Bundesfinanzhof erstmals konkrete Berechnungsparameter für die Ermittlung einer etwaigen Doppelbesteuerung von Renten festgelegt hat. Dabei hat er klargestellt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als steuerfreien Rentenbezug in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben nach Auffassung des Bundesfinanzhofs unberücksichtigt. Das gilt insbesondere für den sogenannten Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern soll. Für die Ermittlung des aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Teils der Rentenversicherungsbeiträge hat der X. Senat ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert.
Konsequenz
Das Bundesfinanzministerium berücksichtigt in seinen Berechnungen bisher drei Größen: Rentenfreibetrag, Grundfreibetrag und die Beiträge der Rentner zu Kranken- und Pflegekasse. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs darf ausschließlich der Rentenfreibetrag zugrunde gelegt werden. Die Vorsitzende Richterin des X. Senats ist nach der vorgelegten Berechnungsformel der Meinung, dass künftige Rentnerjahrgänge in mehr Fällen von der doppelten Besteuerung betroffen sein werden, als die Finanzverwaltung meint.