EuGH: Ausschluss beschränkt Steuerpflichtiger von Quellensteuererstattung verstößt im Verlustfall gegen EU-Recht
Regelmäßig werden Dividendenausschüttungen in dem Staat, in dem die ausschüttende Kapitalgesellschaft ansässig ist, im Wege einer Abzugsteuer für Rechnung des Dividendenempfängers an der Quelle besteuert. Dabei sehen die nationalen Steuergesetze einen Steuerabzug unabhängig davon vor, ob der Dividendengläubiger im Quellenstaat steuerlich ansässig ist (Inlandsfall) oder ob es sich um einen Gebietsfremden handelt (beschränkt Steuerpflichtiger).
Abgeltende Wirkung von Quellensteuern bei beschränkt Steuerpflichtigen
Ist der Dividendengläubiger eine nicht im Quellenstaat ansässige Kapitalgesellschaft und gehört die Beteiligung an der ausschüttenden Gesellschaft auch nicht zu einer im Quellenstaat belegenen Betriebsstätte des Gläubigers, ist die auf die Dividende entfallende Steuer durch den Steuerabzug abgegolten. Bei Einschlägigkeit zwischenstaatlicher Regelungen, wie z.B. der Mutter-Tochter-Richtlinie oder Doppelbesteuerungsabkommen, kann die Quellensteuer allenfalls reduziert werden. Im Vergleich damit hat die Quellensteuer im reinen Inlandsfall nicht zwangsläufig abgeltende Wirkung: So enthalten viele nationale Steuergesetze Regelungen, nach denen die Quellensteuer lediglich eine Steuervorauszahlung darstellt und dem Dividendengläubiger im Verlustfall mangels „anderweitiger“ Körperschaftsteuerbelastung erstattet wird.
Abgeltende Wirkung im Verlustfall EU-rechtswidrig
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun Folgendes entschieden: Steuerliche Regelungen stellen eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) dar, wenn einem im Quellenstaat ansässigen Dividendenempfänger im Verlustfall die auf die Dividende einbehaltene Steuer erstattet wird, diese Erstattungsmöglichkeit jedoch einem Gebietsfremden in gleicher Situation verwehrt bleibt und somit zu einer Definitivbelastung führt.
Bei der Klägerin handelte es sich um eine britische Limited, die im Jahr 2017 in Großbritannien einen Verlust erwirtschaftet hatte. In diesem Verlust waren Ausschüttungen einer in Bizkaia (Provinz der autonomen Gemeinschaft Baskenland, Spanien) ansässigen Kapitalgesellschaft enthalten, die – dem spanisch-britischen Doppelbesteuerungsabkommen folgend – einer Quellensteuer von 10 % unterworfen wurden. Die Mutter-Tochter-Richtlinie, die in bestimmten Fällen eine Reduzierung der Quellensteuer auf null anordnet, fand aufgrund des geringen Beteiligungsumfangs der Limited an der spanischen Gesellschaft keine Anwendung. Auch konnte die Quellensteuer nicht in Großbritannien angerechnet werden, da aufgrund der Verlustsituation keine Steuer festgesetzt wurde.
Ungleichbehandlung nicht zulässig
Das Gericht hält die Ungleichbehandlung gebietsansässiger und -fremder Dividendengläubiger im Verlustfall für nicht zulässig. Insbesondere lehnt es die vorgetragenen Rechtfertigungsgründe der Effizienz der Steuerbeitreibung, der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis und der Kohärenz des Steuersystems ab. Vielmehr müsse einem gebietsfremden Dividendengläubiger zwecks Erstattung von Quellensteuern die Möglichkeit eröffnet werden, den erlittenen Verlust gegenüber dem Quellenstaat nachzuweisen. Die Richtigkeit solcher Angaben könne durch die zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten bestehenden Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung (Amtshilfeersuchen) überprüft werden.
Praxishinweise
Der Urteilsfall betraf eine Konstellation zwischen einer in Spanien und einer in Großbritannien ansässigen Kapitalgesellschaft. Gleichwohl lässt er sich sowohl auf Outbound-Investments deutscher Steuerpflichtiger in Spanien als auch auf Inbound-Investments Gebietsfremder in Deutschland übertragen. Insbesondere der Inbound-Fall weist Parallelen zum Urteilsfall auf: Unterliegt beispielsweise der inländische Dividendenempfänger der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht, wird die Kapitalertragsteuer sowohl im Falle einer Steuerfreistellung (Beteiligungshöhe ≥ 10 %; § 8b Abs. 1 KStG) als auch im Falle von Streubesitzdividenden (Beteiligungshöhe < 10 %; § 8b Abs. 4 KStG) auf die Körperschaftsteuer angerechnet bzw. im Verlustfall erstattet (§§ 31 und 36 KStG), wohingegen sie bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften abgeltende Wirkung entfaltet.
Da die Mutter-Tochter-Richtlinie in EU-Fällen in ihrer in Deutschland umgesetzten Form bereits bei einer Beteiligungshöhe von 10 % eine vollständige Erstattung der Quellensteuer vorsieht, ist die EuGH-Entscheidung vorwiegend in den folgenden Fällen relevant: Der ausländische Dividendengläubiger aus Deutschland bezieht eine Streubesitzdividende und erwirtschaftet im Bezugsjahr einen Verlust. Hier wird es zukünftig entscheidend darauf ankommen, dass die Verlustsituation sowie die fehlende Anrechenbarkeit und die damit entstehende Effektivbelastung nachgewiesen werden. Wie sich die deutsche Finanzverwaltung zu dieser Entscheidung positionieren wird, bleibt abzuwarten. Bei entsprechend gelagerten Fallkonstellationen und einem nennenswerten Volumen der Quellensteuern sollten Anträge auf Quellensteuererstattungen in jedem Fall gestellt werden, auch wenn aktuell mit einer langen Bearbeitungsdauer zu rechnen ist.
Europäischer Gerichtshof vom 19.12.2024 – C-601/23, Credit Suisse Securities (Europe) Ltd.