Sozialversicherung von Gesellschafter-Geschäftsführern: Weitere Fehlentwicklung der Rechtsprechung?
Grundsatz der Sozialversicherungspflicht für GmbH-Geschäftsführer
In der GmbH (und in der Regel auch in der GmbH & Co. KG) gilt als Ausgangspunkt, dass die Vergütung des Geschäftsführers der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Denn er ist in die Unternehmensorganisation der Gesellschaft eingegliedert und unterliegt nach dem Gesetz den Weisungen der Gesellschafterversammlung. In diesem Punkt unterscheidet er sich insbesondere vom Vorstand einer Aktiengesellschaft, der nach dem Gesetz frei von Weisungen agieren kann und daher nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
Sozialversicherungspflicht für Gesellschafter-Geschäftsführer
Im Grundsatz gilt die Sozialversicherungspflicht des GmbH-Geschäftsführers auch dann, wenn er selbst eigene Anteile an der Gesellschaft hält. Während die Sozialversicherungsträger früher eher großzügige Ausnahmen von der Sozialversicherungspflicht solcher Gesellschafter-Geschäftsführer gewährt haben, hat sich in den vergangenen Jahren herauskristallisiert, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer nur dann von der Sozialversicherung befreit ist, wenn er Weisungen der Gesellschafterversammlung kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung verhindern kann.
Das ist immer dann der Fall, wenn in der Gesellschafterversammlung gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer keine Mehrheit zustande kommen kann – also wenn ihm kraft Gesellschaftsvertrag ein persönliches Vetorecht zusteht oder er eine Sperrminorität hält. Wie hoch der eigene Geschäftsanteil für eine Sperrminorität sein muss, hängt von den satzungsmäßigen Mehrheitskriterien für Gesellschafterbeschlüsse ab. Ist Einstimmigkeit vorgesehen, genügt selbst der kleinste Kapital- und Stimmanteil. Sieht der Gesellschaftsvertrag z.B. eine Zweidrittelmehrheit vor, genügen 34% der Kapital- und Stimmanteile. Bleibt der Gesellschaftsvertrag bei der gesetzlichen Regelung der lediglich einfachen Mehrheit, benötigt der Geschäftsführer 50% der Kapital- und Stimmanteile, um sozialversicherungsfrei zu sein; in der Zwei-Personen-Gesellschaft sind (bei paritätisch verteilten Anteilen) also beide Gesellschafter-Geschäftsführer von der Sozialversicherungspflicht befreit.
Kehrtwende beim Sozialgericht Neubrandenburg?
Das Sozialgericht Neubrandenburg hat nun die wohl gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einem Zwei-Personen-Fall durchbrochen und beide Gesellschafter-Geschäftsführer trotz jeweiligen 50%-Anteils der Sozialversicherung unterworfen. Die Pattsituation, in der keiner der beiden Gesellschafter gegen den anderen entscheiden kann, führe zu einer bloßen Verhinderungsmacht, nicht aber zu einer umfassenden eigenen Entscheidungsmacht. Dies genüge nicht für die Befreiung von der Sozialversicherung.
In der Konsequenz dieser Auffassung könnten nur noch Mehrheitsgesellschafter als Geschäftsführer sozialversicherungsfrei bleiben – und auch dies wohl nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Sperrminoritäten für andere Gesellschafter ermöglicht. Dies wäre eine eklatante Verschärfung des Sozialversicherungsreglements.
Ausblick
Ob wirklich eine solche Veränderung droht, erscheint trotz der an sich eindeutigen Entscheidung aus Neubrandenburg zweifelhaft. Zum einen hat hier lediglich ein Gericht der ersten Instanz entschieden und ist eine Kehrwende in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts derzeit nicht abzusehen. Zum anderen liest sich die Begründung der aktuellen Entscheidung so, als habe sich das Sozialgericht gar nicht in Widerspruch zu der gefestigten Rechtsprechung gesehen, sondern im Einklang mit ihr. Ausdrücklich tritt das Gericht den in der Begründung von ihm zitierten Maßgaben des Bundessozialgerichts bei, um sie dann allerdings fehlerhaft anzuwenden. Hätte das Gericht in Neubrandenburg von der bisherigen Rechtsprechung abweichen wollen, hätte es die Entscheidung wohl ganz anders eingeleitet und begründet.
So erstaunlich es auch wäre: Derzeit spricht wenig für eine Umwälzung in der Rechtsprechung, sondern alles dafür, dass ein Fachgericht die gefestigte Rechtsprechung der eigenen Obergerichte gründlich missverstanden und geradezu konträr angewendet hat. Die weitere Entwicklung gilt es zu beobachten.
(Sozialgericht Neubrandenburg, Entscheidung vom 10.9.2024 – S 7 BA 7/23)