Offenbare Unrichtigkeit bei Übernahmefehler des Finanzamts
Kernaussage
§ 129 AO erlaubt es der Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit bis zum Eintritt der Verjährung zu berichtigen. Die Vorschrift greift zudem, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. „Offenbar“ ist ein Fehler dann, wenn er eindeutig und augenscheinlich ist (typischerweise Eingabe- und Übertragungsfehler), nicht jedoch, wenn er auf fehlerhafter Tatsachenwürdigung des Finanzamts beruht. Und genau diese Abgrenzung zwischen mechanischem Versehen und Rechts- bzw. Tatsachenirrtum ist immer wieder Gegenstand von finanzgerichtlichen Verfahren.
Sachverhalt
Die Klägerin vermietete 2015 zwei Mehrfamilienhäuser wie folgt: Zwei Wohnungen wurden unentgeltlich an jeweils eine Tochter vermietet, die Vermietung der übrigen Wohnflächen erfolgte entgeltlich an fremde Dritte. In der eingereichten Einkommensteuererklärung 2015 erfasste die Klägerin die Gebäudeabschreibungen (AfA) und die übrigen Werbungskosten zutreffenderweise nur anteilig in Höhe der entgeltlich vermieteten Wohnungen. In der Steuererklärung 2016 gab die Klägerin an, nunmehr auch die Wohnungen an ihre Töchter vollentgeltlich vermietet zu haben. Die entsprechenden Mieteneinnahmen wurden erklärt, gleichzeitig aber die Gebäude-AfA wie im Vorjahr anteilig gekürzt. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß. Im Jahr 2019 beantragte die Klägerin die Änderung des Bescheids 2016 wegen offensichtlicher Unrichtigkeit. Begründung: In 2016 seien sämtliche Wohnungen vollentgeltlich vermietet gewesen, irrtümlicherweise habe sie es aber versäumt, die Kürzung der Abschreibungen aus dem Steuerformular zu löschen.
Entscheidung des Finanzgerichts
Das niedersächsische Finanzgericht gab der Klägerin Recht. Angesichts der vorgelegten Unterlagen und Erläuterungen der Klägerin für die Jahre 2015 und 2016 musste dem Finanzamt unzweifelhaft klar gewesen sein, dass die bis 2015 erfolgte Kürzung der AfA allein auf dem Umstand der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung an die Töchter beruhte. Ebenso eindeutig erkennbar war, dass sich der Sachverhalt 2016 lediglich dahingehend geändert hatte, dass die beiden Wohnungen nunmehr entgeltlich an die Töchter überlassen wurden. Da die Klägerin mit Ausnahme der AfA alle übrigen Werbungskosten 2016 ungekürzt angesetzt hatte, bestanden nach Ansicht der Richter nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass die Kürzung der AfA in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet war.
Konsequenz
Der Tenor des Urteils lautet: Ein bisschen „Nachdenken“ schließt nicht automatisch eine Berichtigung nach § 129 AO aus. Es bleibt bei einem „mechanischen Versehen“, wenn das Finanzamt die Vorjahresdaten des Steuerpflichtigen einfach übernimmt, ohne zu hinterfragen, ob die Angaben überhaupt Sinn machen. Das Finanzamt hat dies akzeptiert und auf die Revision beim Bundesfinanzhof verzichtet. Das Urteil ist damit rechtskräftig.