Beweiswerterschütterung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Falle einer Kündigung

Was ist passiert?

Der Mitarbeiter einer Leiharbeitsfirma meldete sich mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristgerecht. Dem Mitarbeiter ging das Kündigungsschreiben einen Tag nach seiner Krankmeldung zu. Auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung folgten zwei weitere Folgebescheinigungen, sodass der Mitarbeiter bis zum Ende seiner Kündigungsfrist ununterbrochen krankgeschrieben war. Die Arbeitgeberin zahlte dem Mitarbeiter für die Zeit des Ausfalls – aufgrund ihrer Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit – keinen Lohn. Der Mitarbeiter klagte daraufhin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. 

Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Beweiswert nicht erschüttert

Das LAG Niedersachsen sah den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Fall nicht als erschüttert an. Als Grund dafür führte es die zeitliche Reihenfolge der Geschehnisse an: So war zwar die Kündigung auf den Tag datiert, an dem sich der Arbeitnehmer mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankmeldete, allerdings ging diesem die Kündigung erst einen Tag nach der Krankmeldung zu. Demnach liege gerade kein Kausalzusammenhang zwischen der Kündigung und der Krankmeldung vor, sodass die Kündigung nicht die Motivation für die Krankmeldung darstelle. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer vor dem Ende eines gekündigten Arbeitsverhältnisses bis zu dessen letztem Arbeitstag erkrankt, erschüttere den Beweiswert nicht. 

Bundesarbeitsgericht: Beweiswert bei zeitlicher Koinzidenz erschüttert

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bereits eine ähnliche Konstellation zu entscheiden. In diesem Fall erfolgte die Kündigung seitens des Mitarbeiters. An dem Tag nach der eigenen Kündigung meldete sich der Mitarbeiter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank. In diesem Fall nahm das Gericht aufgrund der zeitlichen Koinzidenz von Kündigung und Krankmeldung an, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei. Wir berichteten bereits über diese Entscheidung.

Das LAG Niedersachsen griff in seiner Entscheidung das Urteil des BAG auf und betonte dessen Richtigkeit. Gleichzeitig stellte es aber auch klar, dass es sich vorliegend um einen anders gelagerten Fall handele, der auch eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertige. 

Was heißt das nun für Arbeitgeber?

Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist seit jeher eine Nachweismöglichkeit, durch die Arbeitnehmer:innen ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und die dafür erforderliche krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachweisen können. Wollen Arbeitgeber trotz Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Entgeltfortzahlung deshalb verweigern, weil diese die Arbeitnehmer:innen für arbeitsfähig halten, so müssen sie Tatsachen vortragen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Eine Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt nach ernsthaften und objektiv begründeten Zweifeln an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit. Die Entscheidung des LAG Niedersachsen zeigt, dass Arbeitgeber dazu angehalten sind, im Kontext einer Kündigung nicht vorschnell von einem erschütterten Beweiswert einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszugehen. Vielmehr kommt es auf die konkreten Umstände an, sodass stets eine am Einzelfall orientierte Abwägung vorzunehmen ist. 

Michael Huth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Alexandra Hecht

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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Alexander Kirsch

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

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