Wann ist man Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes?

Allgemeines aus dem Umsatzsteuerrecht

Um als umsatzsteuerlicher Unternehmer angesehen zu werden, muss eine Tätigkeit eigentlich nur auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet sein. Das Anstreben von Gewinnen ist im Umsatzsteuerrecht grundsätzlich unbeachtlich. Diese Sichtweise hat besonders für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) Bedeutung, da oft aus politischen Gründen defizitäre Tätigkeiten u.a. in den Bereichen Soziales, Sport, Verkehr, Bildung, Gesundheit und Kultur übernommen werden, bei denen das Entgelt zum Teil deutlich unter den Kosten liegt.
 
Nur als umsatzsteuerlicher Unternehmer ist es jedoch möglich, den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Der aus der bisherigen Praxis resultierende Vorsteuerüberhang hat mit zur Finanzierung dieser Aufgaben beigetragen. Würde diese Mitfinanzierung entfallen, müssten viele Kommunen die Aufgaben auf den Prüfstand stellen, sofern nicht auch dieser zusätzliche Finanzierungsbedarf über den Haushalt gedeckt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) besondere Bedeutung beizumessen.

Streitfälle aus zwei polnischen Gemeinden

Im ersten Fall war eine Gemeinde selbst daran interessiert, nicht als umsatzsteuerlicher Unternehmer angesehen zu werden. Die Gemeinde hatte Photovoltaik-Anlagen an Grundstückseigentümer überlassen und dafür nur 25 % der förderfähigen Kosten in Rechnung gestellt, weil die restlichen 75 % der förderfähigen Kosten durch einen Zuschuss von dritter Seite gedeckt wurden. Die nicht förderfähigen Kosten wurden von der Gemeinde getragen. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass ein Leistungsaustausch vorliegt, denn die Höhe des Entgelts hat hierauf keinen Einfluss. Allerdings sah der EuGH die Voraussetzung einer für die Anerkennung als umsatzsteuerlicher Unternehmer notwendigen wirtschaftlichen Tätigkeit kritisch.

Nach einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Gemeinde nicht nachhaltig wirtschaftlich und somit nicht als Unternehmer agiert hatte, denn es handelte sich um einmalige Leistungen an Grundstückseigentümer und die Leistungen waren wesentlich unter dem Marktpreis verkauft worden. Ein fremder Dritter hätte in dieser Weise nicht gehandelt. Als Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung wurde die Unternehmereigenschaft verneint, sodass ein Vorsteuerabzug nicht möglich gewesen wäre. Im zweiten Fall lag eine ähnliche Konstellation vor. Die betreffende Gemeinde hatte die Aufgabe der Asbestbeseitigung übernommen. Eine aktive Kundensuche erfolgte nicht. Von den Grundstückseigentümern wurde für die Asbestbeseitigung kein Entgelt verlangt. Hintergrund war, dass die Gemeinde darauf gehofft hatte, von einem öffentlichen Umweltfonds Zuschüsse zu erlangen. Auch hier kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass ein Leistungsaustausch möglich war, da auch die Zuschüsse grundsätzlich als Entgelt angesehen werden könnten. Allerdings lag auch hier keine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit vor, auch wenn man auf ein Entgelt von dritter Seite gehofft hatte. Entscheidend war, dass die Gemeinde nicht aktiv versucht hatte, eine Kostendeckung und eine Gewinnmarge zu erzielen.

Fazit für die Praxis

Defizitäre Tätigkeiten der jPöR können dazu führen, dass eine Unternehmereigenschaft nicht mehr gegeben ist und damit die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs aus den anfallenden Kosten entfällt, was die Defizite anwachsen lässt. Zwar könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass es sich bei diesen Verfahren nur um Vorlagefragen polnischer Gerichte an den EuGH handelte, aber die europäische Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts bedeutet auch eine Auswirkung dieser Urteile auf die deutsche Umsatzbesteuerung.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bei seiner bisherigen Rechtsprechung eine nachhaltige wirtschaftliche und damit unternehmerische Tätigkeit auch bei defizitären Tätigkeiten angenommen. Hierzu ist insbesondere auf die dauerdefizitäre Sporthallenüberlassung zu verweisen, die im Jahr 2017 als umsatzsteuerpflichtig angesehen wurde. Kritisch betrachtet wurden hingegen auch schon in der Vergangenheit symbolische Entgelte (z.B. Mietentgelt von 1 €), die nicht als Leistungsaustausch anzuerkennen sind. Auch große Ungleichheiten zwischen Kosten und Entgelt können bereits jetzt zu einer Verneinung des Leistungsaustauschs und einer wirtschaftlichen Tätigkeit führen.
 
Der BFH wird seine großzügigere Rechtsprechung aufgrund der EuGH-Urteile überdenken und in den EuGH-Verfahren ähnlich gelagerten Fällen diese Urteile auch für die deutsche Rechtsprechung anwenden müssen. Dementsprechend ist auf eine Sachverhaltsabgrenzung zu den polnischen Fällen zu achten. In Abgrenzung zu den EuGH-Fällen sollte bei den Fallgestaltungen auf eine nachhaltige Tätigkeit geachtet werden. Auch sollte von Anfang an feststehen, wie diese Tätigkeiten bezahlt werden. Unsere Empfehlung lautet, nach Möglichkeit auch eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung einzuholen. 

Man kann also festhalten, dass auch bei defizitären Tätigkeiten der Vorsteuerabzug in gewissen Rahmen weiter möglich bleibt. Bei den Gestaltungen sollte aber nicht der äußerste Rahmen der Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den guten Willen der Finanzverwaltung im Bereich des öffentlichen Sektors nicht zu sehr auf die Probe zu stellen. Es bleibt abzuwarten, wann und in welchem Umfang der BFH und die Finanzverwaltung diese Urteile umsetzen werden. Insofern wäre es wünschenswert, dass es in diesen Fällen nicht zu Gerichtsverfahren kommt, da in solchen voraussichtlich eher streng nach den Buchstaben des Gesetzes entschieden werden wird.

Oliver Stoffers

Wirtschaftsprüfer / Steuerberater

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