Ende der Steuerersparnis bei der umsatzsteuerlichen Organschaft im öffentlichen Bereich?
Trotz umfangreicher jüngerer Entscheidungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft hält der Bundesfinanzhof (BFH) die Frage der Umsatzsteuerbarkeit von Innenumsätzen aktuell nicht für geklärt. Aus diesem Grund ruft der BFH erneut den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur umsatzsteuerlichen Organschaft an, damit dieser nun klärt, ob eine Organgesellschaft umsatzsteuerbare Leistungen an den Organträger erbringen kann. Der EuGH hat die Frage der Steuerbarkeit von Innenumsätzen bislang nicht eindeutig geklärt, was auch daran liegt, dass das bisher nicht entscheidungserheblich war.
Die Brisanz ist enorm. Der EuGH muss nämlich über den Kern der umsatzsteuerlichen Organschaft entscheiden. Es handelt sich um das bereits zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache, bei dem es nunmehr um eine Frage geht, die aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren zweifelhaft geworden ist. Der EuGH hat erst kürzlich in zwei Urteilen bestätigt: Die Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist mit Blick auf die Frage des Steuerschuldners EU-konform ausgestaltet. Die deutsche Regelung ist also nicht unionsrechtswidrig. Und dennoch kommt die Organschaft nicht zur Ruhe. Jetzt steht der Kern der Organschaft auf dem Prüfstand und der EuGH muss entscheiden, ob Innenleistungen steuerbar sind. Bejaht er das, widerspricht er damit dem jahrzehntelangen Verständnis der Organschaft.
Selbständige unternehmerische Tätigkeit
Ausgangspunkt des Vorlageverfahrens ist die Aussage des EuGH, dass Mitglieder eines Organkreises weiterhin eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit ausüben. Hieraus leitet der V. Senat des BFH ab, dass auch innerhalb des Organkreises steuerpflichtige Leistungen möglich sind.
Das käme hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Folgen dem Ende der Organschaft gleich. Denn die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen ist ein Hauptgrund für die Nutzung der Organschaft. Nicht voll vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer können bislang steuerpflichtige Tätigkeiten auf Tochtergesellschaften auslagern, ohne dass das zu einer Verteuerung der Leistungen führt. Leistungen zwischen den Organteilen sind als Innenleistungen nämlich bisher nicht steuerbar. Sie lösen für die einzelnen Teile also weder Umsatzsteuer noch Vorsteuer aus. Dann ist es auch egal, ob der Empfänger dieser Leistungen Vorsteuer abziehen darf, weil ja überhaupt keine Vorsteuer entsteht. Anders ausgedrückt: Die Tochtergesellschaft gilt faktisch als interne Abteilung des Unternehmens. Wäre die Innenleistung hingegen steuerbar und steuerpflichtig, würde bei dem Empfänger der Leistungen Vorsteuer entstehen, die er nicht abziehen kann, wenn er die Leistungen für Ausschlussumsätze verwendet.
Ausgangslage für juristische Personen des öffentlichen Rechts
Von der bisherigen Sichtweise profitieren insbesondere auch juristische Personen des öffentlichen Rechts. Für diese lassen sich nichtabziehbare Vorsteuerbeträge bisher dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, sodass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.Der BFH geht in seinem aktuellen Beschluss von der Steuerbarkeit der Innenleistungen aus. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Organschaft sollen die Nichtsteuerbarkeit rechtfertigen. Ferner soll § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG richtlinienkonform so auslegbar sein, dass sich eine Besteuerung der Innenleistungen unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.
Um einen nachgelagerten drohenden Zinsschaden zu vermeiden, kann eine effektive Handlungsempfehlung lauten, dass zukünftig für Leistungen im Organkreis Rechnungen mit Steuerausweis erzeugt werden sollten. Sind die Leistungen aus der Sicht des EuGH nicht umsatzsteuerbar, liegen dann nach der Rechtsprechung des BFH lediglich unbeachtliche Abrechnungsbelege vor. Eine Steuerschuld nach § 14c UStG entsteht ausdrücklich nicht. Teilt der EuGH hingegen die Auffassung des höchsten deutschen Steuergerichts, liegt dem Leistungsempfänger bereits eine ordnungsgemäße Rechnung vor. Steuerentstehung und Vorsteuerabzug fallen zeitlich zusammen und es droht kein Zinsschaden. Allerdings wird der erhebliche Nachteil im Fall des fehlenden Vorsteuerabzugs vorgezogen.
Die tendenzielle Positionierung des BFH ist aus dem Vorlageersuchen recht eindeutig erkennbar. Sollten Innenumsätze zwischen Gesellschaften eines Organkreises nunmehr umsatzsteuerbar und -steuerpflichtig werden, führt das zu erheblichen Auswirkungen in der Praxis. Bislang diente die umsatzsteuerliche Organschaft als geeignetes Mittel, um Umsatzsteuerschäden aus dem fehlenden Vorsteueranspruch aus Eingangsleistungen von verbundenen Unternehmen zu vermeiden. Für bereits realisierte Vorgänge wird ein Vertrauensschutz greifen.
Es ist zu hoffen, dass die Finanzverwaltung darüber hinaus in Form einer Verwaltungsanweisung nach der finanzgerichtlichen Entscheidung eine großzügige Übergangsregelung treffen wird. Das wäre im Fall einer Rechtsprechungsänderung angesichts des Bestands der fast 100-jährigen ständigen Rechtsprechung und der weitreichenden Mehrbelastungen auch erforderlich. Zukünftig wären in den meisten Fällen Umstrukturierungsmaßnahmen erforderlich, um eine zusätzliche Umsatzsteuerbelastung aus den dann steuerpflichtigen Innenumsätzen zu vermeiden.
Das könnte beispielsweise durch Umverteilung des Personals innerhalb des Organkreises erfolgen, um Leistungsabrechnungen diesbezüglich zwischen den Gesellschaften zu vermeiden. Bisherige selbstständige Dienstleistungsgesellschaften könnten des Weiteren auch auf die ehemalige Organträgerin verschmolzen werden, sodass die Leistungen innerhalb eines Unternehmens erfolgen und nicht mehr durch eine andere selbstständige Gesellschaft.
Rechtsunsicherheiten für juristische Personen des öffentlichen Rechts
Bis zu der Entscheidung des EuGH und der abschließenden Beurteilung des BFH besteht jedoch in dieser Hinsicht in nächster Zeit eine erhebliche Rechtsunsicherheit – insbesondere auch für die hiervon betroffenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Insofern ist die erneute EuGH-Vorlage zu begrüßen, um diese zentrale und von ihren Auswirkungen her weitreichende Rechtsfrage hoffentlich zeitnah zu klären.