Bundesarbeitsgericht: Kein Mindestlohn für Praktika vor dem Studium

 

Seit Einführung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) am 16.8.2014 stellt sich immer wieder die Frage, wer unter dieses Gesetz fällt und welche Ausnahmen es gibt. Grundsätzlich hat jede:r Arbeitnehmer:in Anspruch auf Mindestlohn. Dieser beträgt seit dem 1.1.2022 9,82 € brutto und erhöht sich am 1.7.2022 auf 10,45 €. In der Praxis kommt es vor allem im Zusammenhang mit Praktika zu zahlreichen Fragen. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich eine klarstellende Entscheidung getroffen.

Der Begriff „Praktikant:in“

Der Begriff „Praktikant:in“ ist im normalen Sprachgebrauch weit und unbestimmt; frei nach dem Motto „jede günstige Arbeitskraft“. Das MiLoG definiert den Begriff in § 22 Abs. 1 als Personen, die sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterziehen, ohne dass es sich dabei um eine Berufungsausbildung oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. Die Rechtsprechung fragt zwecks Abgrenzung vor allem danach, ob der Ausbildungszweck oder die Verdienstmöglichkeit im Vordergrund steht.

Mindestlohn für viele Praktikant:innen 

Auch für solche Praktikant:innen gilt zunächst einmal der Mindestlohn. Hiervon sieht das Gesetz nur wenige, eng umgrenzte Ausnahmen vor. Diese betreffen Praktikant:innen, die

  • ihr Praktikum im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung leisten,
  • ihr Praktikum zum Zwecke der Orientierung über ihre Berufs- oder Studienwahl leisten (Begrenzung auf drei Monate),
  • ein berufs- oder hochschulbegleitendes Praktikum ableisten (Begrenzung auf drei Monate).

Vorpraktikum kann Ausnahme vom Mindestlohn rechtfertigen

Konkret hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein sogenanntes Vorpraktikum unter die Ausnahmen nach dem MiLoG fällt oder ob der gesetzliche Mindestlohn greift. 

Anlass hierfür war die Klage einer jungen Frau, die sich um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin beworben hatte. Zulassungsvoraussetzung für die Annahme an der Universität war ein sechsmonatiges Praktikum im Krankenpflegedienst. Dieses hatte die junge Frau in einem Krankenhaus absolviert. Da sie von dem Krankenhaus keine Vergütung erhalten hatte, klagte sie auf Zahlung des Mindestlohns in Höhe von insgesamt gut 10.000 € brutto. Sie führte aus, dass sie an fünf Tagen je Woche wie eine Arbeitnehmerin täglich 7,45 Arbeitsstunden erbracht habe und das „Vorpraktikum“ unter keine der Ausnahmen nach § 22 MiLoG falle.

Mit ihrer Klage ist die Studentin in allen drei Instanzen gescheitert. Im konkreten Fall kam wegen der sechsmonatigen Dauer nur die Ausnahme des Praktikums im Rahmen einer Studienordnung in Betracht. Hierzu stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Praktikums ankomme, sondern nur auf die Frage, ob das Praktikum in der Studienordnung als Pflicht vorgesehen ist. Dies könne auch für ein sogenanntes „Vorpraktikum“ gelten. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasse nicht nur die obligatorischen Praktika während des Studiums, sondern auch die Praktika, die laut Studienordnung zwingende Voraussetzung seien, um das Studium überhaupt aufzunehmen. Das gehe eindeutig aus der Gesetzesbegründung hervor. Im konkreten Fall sah die Studienordnung die entsprechende Voraussetzung vor, sodass die Klägerin keinen Anspruch auf Mindestlohnvergütung hatte. 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.1.2022, Az. 5 AZR 217/21.

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Michael Huth

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