Übertragung einer Rücklage nach §6b EStG vor Fertigstellung des Reinvestitionsobjektes

Kernaussage

Nach Auffassung des FG Münster kann eine 6b-Rücklage entgegen der Verwaltungsmeinung bereits vor Fertigstellung des Ersatzwirtschaftsguts auf einen anderen Betrieb übertragen werden.

Sachverhalt

Die Eltern des Klägers (K), die im gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft leben, gründeten im Jahr 2003 die A. GmbH & Co. KG, deren Gesellschaftszweck die Einrichtung und Vermietung von Mehrfamilienhäusern war. Komplementärin ist die nicht am Gesellschafterkapital beteiligte A. Verwaltungs-GmbH. Kommanditisten mit einer Beteiligung von jeweils 50 % waren zunächst die Eltern des K. In mehreren Schritten übertrugen die Eltern ihre Gesellschaftsanteile und das Sonderbetriebsvermögen (in GbR) anteilig auf ihre drei Kinder. Die GbR übernahm nach dem Vertrag vom 16.07.2007 darüber hinaus ein im Sonderbetriebsvermögen der Eltern bestehendes Darlehen mit einem Soll-Stand von 120.000 €. Die GbR führte die unentgeltliche Überlassung des Sonderbetriebsvermögens an die A. GmbH & Co. KG fort. Bereits am 30.12.2006 hatten die Eltern des K ihren landwirtschaftlichen Betrieb unentgeltlich auf den K übertragen. Den Gewinn des landwirtschaftlichen Betriebes ermittelten sowohl die Eltern des K als auch K selbst, durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung.

In der KG Sonderbilanz der Eltern des K wurde auf den 31.12.2006 eine Rücklage in Höhe von 344.770,54 € ausgewiesen. Diese Rücklage war gebildet worden aus dem Veräußerungsgewinn von Grund und Boden im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern des K im Wirtschaftsjahr 2005/2006. In der auf den 05.07.2007 aufgestellten Sonderbilanz der Eltern des K war das zum 30.06.2007 fertiggestellte Sechsfamilienhaus B-Straße 1 bilanziert. Die Rücklage in Höhe von 344.770,54 € wurde auf die Herstellungskosten dieses Sechsfamilienhauses übertragen. Bei einer Betriebsprüfung im Jahr 2010 bei der A. GmbH & Co. KG, wurde die Rücklage in der Sonderbilanz der Eltern des K zum 31.12.2006 nicht anerkannt, da die Übertragung einer Rücklage von einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich gewesen sei. Das FA berücksichtigte deshalb im EStB 2009 vom 15.02.2011 die Auflösung der Rücklage in Höhe von 344.770 € zzgl. 24 % Zinsen (82.744 €) zur Hälfte. Zusätzlich zum Einspruch stellte K mit Schreiben vom 15.10.2010 einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung der ESt 2009 und 2010 aus Billigkeitsgründen. Im Streitfall seien die Tatbestandsvoraussetzungen des §6b EStG erfüllt und auch der Normzweck der Vorschrift werde gewahrt, da die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt werde. Die Rücklagenauflösung verstoße gegen das Übermaßverbot und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das FA wies den Einspruch und den Antrag zurück. Dagegen erhob K Klage.

Entscheidung

Das FG Münster gab der Klage statt. Der angefochtene EStB 2009 und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.

Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahrs noch vorhanden, so ist sie nach §6b Abs.3 Satz 5 EStG zu diesem Zeitpunkt mit einem Gewinnzuschlag nach §6b Abs.7 EStG für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, gewinnerhöhend aufzulösen. Im Streitfall war die Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgende Wirtschaftsjahres nicht mehr im landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers vorhanden. Die Eltern des Klägers haben die Rücklage nach Ansicht des FG im Jahr 2006 wirksam aus dem landwirtschaftlichen Betrieb in ihr Sonderbetriebsvermögen der A. GmbH & Co. KG übertragen.

Soweit das FA sich darauf beruft, dass der Übertragung der Rücklage aus dem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Eltern in deren Sonderbetriebsvermögen bei der A. GmbH & Co. KG die Verwaltungsvorschrift des R 6b.2 Abs.8 Satz 3 EStR entgegensteht, so folgt das FG dem nicht. Gemäß dieser Verwaltungsvorschrift kann eine gebildete Rücklage auf einen anderen Betrieb erst in dem Wirtschaftsjahr übertragen werden, in dem der Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellkosten bei den Wirtschaftsgütern des anderen Betriebs vorgenommen wird. Dies wäre im Streitfall das Jahr 2007 als das Jahr der Fertigstellung des Hauses B-Straße 1.

Die sich aus der Verwaltungsvorschrift ergebende zeitliche Einschränkung der Übertragung der Rücklage findet jedoch nach Auffassung des FG keine Grundlage im Gesetz. Eine Übertragung der Rücklage ist nach Auffassung des FG daher auch bereits zeitlich vor einem Abzug und grundsätzlich sogar unabhängig von einem Abzug von den Anschaffungs- und Herstellkosten im anderen Betrieb möglich. Jedenfalls aber muss die Übertragung einer Rücklage in den Fällen möglich sein, wenn – wie im Streitfall – im Zeitpunkt der Übertragung bereits mit der Herstellung des Wirtschaftsgutes begonnen worden ist.

Der Tatsache, dass in der Terminologie des §6b Abs.4 Satz 2 EStG und der Gesetzesbegründung jeweils auf den „Abzug“ von den Anschaffungs- und Herstellkosten abgestellt wird und nicht allgemein von einer „Übertragung der Rücklage“ gesprochen wird, kommt nach Auffassung des FG keine entscheidende Bedeutung zu. Der Begriff „Abzug“ knüpfe lediglich an die Terminologie der Absätze 1 und 3 des §6b EStG an. Der Abzug solle nach dem Gesetz den Regelfall bilden, die Auflösung mit der Folge des Gewinnzuschlags bilde hingegen die Ausnahme. Eine Aussage dahingehend, dass eine Übertragung der Rücklage erst im Zeitpunkt und nur im Umfang des Abzugs möglich ist, werde vom Gesetz nicht getroffen. Nach Auffassung des FG gilt vielmehr im Wege des Erst-Recht-Schlusses, dass in den Fallkonstellationen, in denen ein Abzug aufgrund der Regelung des §6 Abs.4 Satz 2 EStG schon nicht möglich ist, auch keine Übertragung der Rücklage (ohne Abzug) möglich ist. Denn die Übertragung der Rücklage ohne Abzug führt in diesen Fällen regelmäßig zu einer zeitlich früheren unzulässigen Gewinnverlagerung in den nicht gewerbesteuerpflichtigen Bereich.

Der über die Vorschrift des §6b Abs.4 Satz 2 EStG hinaus gehende Zweck der Regelung des R 6b.2 Abs.8 Satz 3 EStR, der nach Auffassung in der Literatur darin bestehen soll zu verhindern, dass die Verlagerung und Auflösung der Rücklage nur zur Ersparnis von Gewerbesteuer erfolgt, z.B. zum Ausgleich eines Verlustes im anderen Betrieb, hat weder Niederschlag im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung gefunden. Insoweit sind nach Auffassung des FG auch die allgemeinen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften der AO ausreichend, da es nicht grundsätzlich bzw. regelmäßig, sondern nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zu einer Minderbesteuerung kommen kann. Für einen solchen Missbrauch bestanden im Streitfall auch keine Anhaltspunkte, insbesondere bestand im Betrieb der A. GmbH & Co. KG kein gewerbesteuerlicher Verlust. Ferner ist die Rücklage auch zeitlich später tatsächlich von den Herstellungsosten des Objekts B-Straße 1 abgezogen worden.

Hinweis

Das FG Münster hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

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