Steuerfreiheit von Heilbehandlungen auch ohne ärztliche Verordnung?

Fall

Ein Physiotherapeut behandelte seine Patient:innen nach Auslaufen der vorliegenden Rezepte weiter. Die Umsätze aus den Folgebehandlungen deklarierte er – ebenso wie die ursprünglichen Behandlungen – als steuerfreie Umsätze. Nachdem dem Finanzamt dies im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung aufgefallen war, forderte es 19 % Umsatzsteuer auf diese Umsätze nach; Begründung: Behandlungen im Anschluss an eine ärztliche Verordnung seien ohne erneute Verordnung grundsätzlich nicht als steuerfreie Heilbehandlung anzuerkennen. Es handele sich vielmehr um steuerpflichtige Präventionsmaßnahmen.

Hiergegen klagte der Physiotherapeut. Er verwies u.a. darauf, dass er im Wesentlichen Wirbelsäulenerkrankungen therapiere sowie Knie-, Hüft- und Schulterleiden zwecks Operationsvermeidung; kommerzielle Fitnesskurse biete er nicht an.

Entscheidung

Das Finanzgericht verweist zunächst darauf, dass für die Beantwortung der Frage, ob eine begünstigte steuerfreie Heilbehandlung vorliegt, weder die subjektive Sicht des Patienten noch die Einstufung des Physiotherapeuten ausreichend ist. Ärztliche Verordnungen dienen daher als Nachweis des therapeutischen Zwecks. Gleichwohl führt das Fehlen einer ärztlichen Verordnung nicht zwingend zur Versagung der Anerkennung einer steuerfreien Heilbehandlung, so auch bei den strittigen Folgebehandlungen. Denn der Kläger hatte nachgewiesen, dass die Patient:innen nach einem Quartal bzw. spätestens im Folgejahr wegen derselben chronischen Erkrankung eine erneute ärztliche Verordnung vorlegten.

Konsequenzen

Das Urteil zeigt, dass in begründeten Fällen die restriktive Auffassung der Finanzverwaltung, die Steuerbefreiung bei fehlender ärztlicher Verordnung grundsätzlich zu versagen, hinterfragt werden muss. Denn diese ignoriert seit Langem den Umstand, dass Ärzt:innen aufgrund bestehender Budgetierungen schon lange nicht mehr alles verschreiben, was der Gesundheit dient, worauf der Kläger auch hinweist. Anstatt allein an der medizinischen Verordnung als Nachweis der Steuerbefreiung festzuhalten, wäre eine realitätsnähere Betrachtung wünschenswert. Allerdings zeigt das Urteil auch, dass es konkrete, nachvollziehbare Nachweise braucht, um die Steuerbefreiung zu fordern.

Der dargestellte Sachverhalt ist auch für andere Gesundheitsberufe relevant. Unsere Expert:innen beraten Sie gerne, ob und wie Sie von dem Urteil profitieren können.

Hinsichtlich des Leistungskatalogs von Physiotherapeut:innen geht das 20-seitige Urteil noch weit über die dargestellte Problematik hinaus, sodass diese sich eingehend mit dem Urteil auseinandersetzen sollten.

Gert Klöttschen

Steuerberater

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