Rechtfertigt Drohen mit Krankschreibung außerordentliche Kündigung?

Ankündigung der Krankschreibung per WhatsApp

Die Klägerin war seit 2010 bei der Beklagten als Verkäuferin in einer der Bäckereifilialen tätig. Mit der Filialbetreuerin kam es vermehrt zu Meinungsverschiedenheiten. Aus diesem Grund fand Anfang Juni 2020 ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer, der Filialbetreuerin und der Klägerin statt. Im Juli 2020 wurden die Öffnungszeiten der Bäckereifiliale verlängert, sodass diese nunmehr bis 17.30 Uhr geöffnet hatte. Die Klägerin bat darum, den Schichtplan für den Juli so zu gestalten, dass sie nicht bis 17.30 Uhr arbeiten müsse, damit sie ihr Kind von der bis 18.00 Uhr geöffneten Kindertagesstätte abholen könne. Trotz der Bitte wurde die Klägerin für die Woche vom 20. bis 25. Juli der Spätschicht zugeteilt. Daraufhin kündigte sie per WhatsApp-Nachricht an, sich in der besagten Woche krankschreiben zu lassen. Ein Telefonat zwischen der Filialbetreuerin und der Klägerin konnte nicht zur Klärung des Konflikts beitragen. Mit Schreiben vom 22.6.2020 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.7.2020. Nur drei Stunden später übergab die Beklagte der Klägerin ein Schreiben, in dem sie die außerordentliche Kündigung aufgrund der angedrohten Krankschreibung erklärte. Das Arbeitsgericht Schwerin erklärte die außerordentliche Kündigung für unwirksam, woraufhin die Beklagte in Berufung ging.

Die konkreten Umstände sind für außerordentliche Kündigung maßgeblich

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin. Die Drohung mit einer Krankschreibung, mit dem Ziel, einen nicht zustehenden Vorteil zu erreichen, stellt an sich einen besonderen Umstand dar, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Der Arbeitnehmer setzt durch ein solches Verhalten den Arbeitgeber in unzulässiger Weise unter Druck. Er bringt zum Ausdruck, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz missbrauchen zu wollen, um einen unberechtigten Vorteil zu erlangen. Ein solches Verhalten stellt eine Verletzung der aus der Rücksichtnahmepflicht folgenden Leistungstreuepflicht dar und rechtfertigt regelmäßig eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung. Selbst wenn der Arbeitnehmer nach der Ankündigung tatsächlich erkrankt ist, die Krankschreibung also aufgrund einer tatsächlichen, nicht einer vorgetäuschten Krankheit erging, ist die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Jedoch müssen bei einer außerordentlichen Kündigung stets die konkreten Umstände des Falls berücksichtigt werden. Die Kündigung ist nur wirksam, wenn es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, die Kündigungsfrist einzuhalten. Es muss dabei das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abgewogen werden. Dabei ist die Vertragspflichtverletzung mitsamt ihren Auswirkungen, dem Verschuldensgrad des Arbeitnehmers, einer möglichen Wiederholungsgefahr und der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu betrachten. Entscheidend ist auch, ob ein milderes Mittel, etwa eine Abmahnung, Versetzung oder ordentliche Kündigung, denkbar ist. Im zugrunde liegenden Fall war die Kündigung nicht verhältnismäßig, denn die Klägerin hatte sich bereits dazu entschieden, ihr langjähriges Arbeitsverhältnis aufzugeben, um die Konfliktsituation zu lösen. In den vorangegangenen zehn Jahren war die Klägerin ihren arbeitsvertraglichen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen. Das Landesarbeitsgericht sah hier keine Wiederholungsgefahr. Bei der Drohung habe es sich lediglich um eine unüberlegte Reaktion gehandelt. Dem Arbeitgeber sei die Einhaltung der kurzen Kündigungsfrist zumutbar gewesen.

Konsequenz

Das Urteil bestätigt erneut, dass bei der Androhung einer Krankschreibung regelmäßig mögliche Rechte des Arbeitgebers bis hin zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Folge sein können. Dennoch ist stets zu prüfen, ob eine außerordentliche Kündigung aufgrund von Einzelfallumständen ungerechtfertigt ist.

 

LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 4.5.2021 – 5 Sa 319/20 

Alexandra Hecht

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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Michael Huth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Alexander Kirsch

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

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