Bundesgerichtshof: Reservierungsgebühren in Pflegeeinrichtungen unzulässig

Mit Urteil vom 15.7.2021 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Platz- oder Reservierungsgebühren bei vollstationären Pflegeeinrichtungen nicht zulässig sind. Die Vorinstanz (Landgericht Köln) hatte das jedenfalls in der Sonderkonstellation, in dem es um eine privat pflegeversicherte Bewohnerin ging, noch anders bewertet. 

Hintergrund

Gemäß § 15 Abs. 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) müssen in Wohn- und Betreuungsverträgen mit Verbraucher:innen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI (SGB) in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den Regelungen des SGB XI entsprechen. Das SGB XI enthält mit § 87a Abs. 1 Satz 7 SGB XI eine Regel, die für Abwesenheitszeiten (Urlaub oder Krankenhaus-/Rehaaufenthalte) die Berechnung der Abwesenheitszeiten zulässt, unter Berücksichtigung eines Abschlags. Nicht ausdrücklich geregelt ist, ob auch Abwesenheitszeiten berechnet werden dürfen, die vor dem Einzug liegen. 

Der konkrete Fall

Eine privat Pflegeversicherte wohnte zunächst in einer anderen Pflegeeinrichtung. Sie schloss den hier umstrittenen Vertrag mit Wirkung zum 15.2.2016 ab, zog aber erst am 29.2.2016 ein, weil sie in der bisherigen Einrichtung die dortige Kündigungsfrist zu beachten hatte. Die neue Einrichtung berechnete vom 15.2.2016 bis zum 28.2.2016 die hier umstrittene Reservierungsgebühr, gestützt auf eine entsprechende Regelung in ihrem Wohn- und Betreuungsvertrag. Die Bewohnerin zahlte die Reservierungsgebühr zunächst und forderte später die Zahlung zurück. Der Bundesgerichtshof gab ihr recht. 

Überformung des zivilrechtlichen Wohn- und Betreuungsvertragsrechts durch das Sozialrecht

§ 15 Abs. 1 WBVG regelt den Vorrang des Leistungserbringungsrechts nach SGB XI vor vertraglichen Vereinbarungen nach WBVG. Der Bundesgerichtshof spricht plastisch von der „Überformung des WBVG durch das Sozialrecht“.

Der Vorrang des SGB XI gilt auch für privat Pflegeversicherte 

Obwohl § 15 Abs. 1 WBVG nur Verträge bezeichnet, die mit Verbraucher:innen abgeschlossen werden, die Leistungen nach dem SGB XI beziehen (= gesetzliche Pflegeversicherung), dehnt der Bundesgerichtshof den Geltungsbereich der Norm auch auf Versicherte der privaten Pflegeversicherung aus. Die Vorinstanz (Landgericht Köln) hatte das noch anders bewertet und sich am engeren Wortlaut orientiert. 

Berechnungstage

Der Verweis des § 15 Abs. 1 WBVG auf die Vorschriften des SGB XI schließt die Regelung des § 87a Abs. 1 SGB XI ein, der im Grundsatz die taggenaue Abrechnung für Anwesenheitstage vorschreibt (Berechnungstage). Das heißt, dass im Grundsatz nur die Tage berechnet werden dürfen, an denen die Bewohner:innen tatsächlich in der Einrichtung sind.

Abwesenheitsvergütung nach SGB XI eng auszulegen

Von dem Grundsatz der Abrechnung nach Berechnungstagen darf nur in den gesetzlich geregelten Fällen abgewichen werden. § 87a Abs. 1 SGB XI regelt die Ausnahmen für vorübergehende Abwesenheitszeiten („Urlaub“, Satz 5) bzw. Krankenhaus- oder Rehaaufenthalte (Satz 6). Die vorübergehende Abwesenheit ist nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs so zu verstehen, dass die Bewohner:innen bereits eingezogen sein müssen. Wenn sie noch gar nicht eingezogen sind, können sie auch nicht vorübergehend abwesend sein. Die Ausnahmeregelung für Urlaub und Krankenhaus/Reha darf nicht auf andere Sachverhalte ausgedehnt werden, auch nicht für „Abwesenheit“ vor dem tatsächlichen Einzug.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.7.2021, Az. III ZR 225/20

Stefan Knobloch

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater

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