Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – droht jetzt die „Insolvenzwelle“?

 

Die seit dem 1.2.2021 geltende Verlängerung des Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) ist am 30.4.2021 ausgelaufen. Seither gibt es keinen coronabedingten Grund mehr für eine nicht erforderliche Insolvenzantragstellung beim Vorliegen einer Insolvenzreife. Was sich jetzt ändert und was zu beachten ist. 

Interview: Christian Senger

 

Wird die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über den 30.4.2021 hinaus nochmals verlängert?

Derzeit gibt es keine offizielle Gesetzgebungsinitiative der Regierung für eine nochmalige Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. In der letzten Kalenderwoche im April bestand jedenfalls keine erkennbare Einigkeit bei den Koalitionsparteien für bzw. gegen eine Verlängerung des COVInsAG. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die letzte Verlängerung sozusagen erst „auf den letzten Drücker“ am 28.1.2021 beschlossen und im Bundesgesetzblatt am 18.2.2021 mit einer Rückwirkung zum 1.2.2021 verkündet worden ist. Nach dem heutigen Stand müssen Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmen jedenfalls bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung wieder ohne Verzögerung einen Insolvenzantrag stellen.

Und wie versteht sich dies mit den laufenden Corona-Hilfe-Programmen? So heißt es bei den FAQ der Corona-Hilfen, insbesondere zur Überbrückungshilfe III: „Die Zuschüsse sind zurückzuzahlen, wenn der Antragssteller seine Geschäftstätigkeit vor dem 30. Juni 2021 dauerhaft einstellt.“ 

Diese Regelung besagt nur, dass die Corona-Hilfen, die zum großen Teil nicht als Darlehen, sondern als reine Zuschüsse und damit bei ordnungsgemäßer Beantragung nicht mit der Verpflichtung zur Rückzahlung gewährt worden sind, im Falle einer Einstellung des Geschäftsbetriebs, d.h. insbesondere im Falle einer Insolvenzantragstellung, zurückgezahlt werden müssen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Geschäftsleiter unter allen Umständen eine Insolvenzantragsstellung über den 30.6.2021 hinausschieben sollten bzw. können. Sofern eine materielle Insolvenzreife in Form einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, muss der Geschäftsleiter ohne schuldhaftes Zögern eine Insolvenzantragspflicht prüfen und gegebenenfalls umgehend einen Insolvenzantrag stellen.

Und was ist dann mit den zurückzuzahlenden Überbrückungshilfen?

Diese stellen dann sogenannte Insolvenzforderungen dar, die in einem Insolvenzverfahren nur mit einer Quote befriedigt werden. Sie erhöhen lediglich die ohnehin bestehenden Verbindlichkeiten.

Hat dies unmittelbare Folgen für einen Schuldner?

In einem Regelinsolvenzverfahren hat die Höhe der Verbindlichkeiten lediglich Einfluss auf die letztendlich an die Gläubiger auszukehrende Insolvenzquote. Gleiches gilt für eine natürliche Person, d.h. den selbstständigen Einzelunternehmer. Sofern dieser einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat und die Voraussetzungen der Restschuldbefreiung erfüllt, kann er sich von seinen Verbindlichkeiten entschulden – und zwar unabhängig von deren Höhe.

Dann ist das Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu begrüßen?

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mit dem Inkrafttreten des COVInsAG zum 1.3.2020 (mit dem ersten Lockdown) war nach dem gesetzgeberischen Willen sinnvoll. Die seitdem mehrfach vorgenommenen Verlängerungen waren an ganz bestimmte, teilweise sehr komplexe Voraussetzungen geknüpft, die es ohnehin nur einem Teil der von der Covid-19-Pandemie wirtschaftlich negativ betroffenen Unternehmen ermöglichten, sich auf das Privileg der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht berufen zu können. Vor dem Hintergrund dessen, dass die Feinheiten in weiten Kreisen des Wirtschaftslebens allerdings zu Verunsicherungen geführt haben, trägt das Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu einem Mehr an Rechtssicherheit bei. Einer Bewertung des dahinterstehenden gesetzgeberischen Willens enthält sich die dhpg.

Droht also nun eine „Insolvenzwelle“?

Unternehmen, die durch die Covid-19-Pandemie wirtschaftlich stark negativ beeinflusst sind, haben die Möglichkeit, Corona-Hilfen zu erhalten und im Rahmen einer Unternehmens- bzw. Liquiditätsplanung eine nachvollziehbare Überwindung der aktuellen wirtschaftlichen Schieflage darzustellen. Besteht eine positive Fortführungsprognose, ist auch kein Insolvenzantrag zu stellen. Dementsprechend werden grundsätzlich gesunde Unternehmen überleben und es ist eine wirtschaftlich sinnvolle Marktbereinigung auf einem Insolvenzniveau vor Corona-Zeiten zu erwarten. Mit einer „Insolvenzwelle“ ist hingegen derzeit und insbesondere vor dem Hintergrund der weiter bestehenden Corona-Überbrückungshilfen nicht zu rechnen.

Wie vermeiden die Geschäftsleiter eine persönliche Haftung bzw. wie können sie sicherstellen, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen?

Erste Ansprechperson der/des Geschäftsleiter*in ist in der Praxis stets die/der Steuerberater*in. Nach dem seit dem 1.1.2021 in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz- StaRUG) haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte von Unternehmen unter bestimmten Umständen auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen. Diese Pflichten müssen die Berater nun im Zusammenhang mit den anstehenden Aufstellungen der Jahresabschlüsse beachten. Im konkreten Einzelfall ist es sicherlich angezeigt, den Rechtsrat eines entsprechend spezialisierten Fachanwalts für Insolvenzrecht einzuholen.
 

Christian Senger

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht

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