Arbeitsrecht - was ändert sich?

Interview: Daniela Nellen-La Roche

Noch nie hat eine Regierungsbildung in Deutschland so lange gedauert. Mit Zustimmung der SPD geht nun ein weiteres Mal eine Große Koalition an den Start. Neben Digitalisierung, Gesundheit und Rente ist das Arbeitsrecht ein großes Thema. Denn irgendwie passt unser Arbeitsrecht nicht mehr so recht zur Arbeitswelt. Daniela Nellen-La Roche, bei der dhpg für das Arbeitsrecht verantwortlich, beleuchtet, was angedacht ist.

Sie haben den Koalitionsvertrag umfassend geprüft. Mit Blick auf die Zukunft der Arbeitswelt: Medizinball oder eher Federbällchen?

Im Vertrag ist an vielen Stellen von der Arbeitswelt 4.0 die Rede. Tatsache ist jedoch, dass die wichtigen Punkte in Fragen einer zunehmend digitalen Arbeitswelt nicht zu erkennen sind. Konkrete Aussagen dazu sucht man vergebens. Hingegen wird es sehr viel detaillierter, wenn es um die sachgrundlose Befristung oder das Recht auf befristete Teilzeit geht. Zudem soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Die Lohnnebenkosten wollen die Parteien des Koalitionsvertrages bei unter 40 % stabilisieren. Zur Bürgerversicherung, die sehr heftig im Vorfeld diskutiert wurde, ist eine Prüfungskommission geplant.

Welche großen Punkte sind jetzt in der Planung?

Einer der gravierendsten Punkte im Koalitionsvertrag betrifft die sachgrundlose Befristung. So sollen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten künftig noch maximal 2,5 % der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Jedes weitere Arbeitsverhältnis dieser Art gilt als unbefristet. Darüber hinaus sind sachgrundlose Befristungen bald nur noch für die Dauer von 18 statt bislang 24 Monaten zulässig, wobei auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich sein soll. Insbesondere für größere Unternehmen dürfte diese Regelung die Abschaffung der bis dato gängigen Praxis sachgrundloser Befristungen bedeuten. Stellen Sie sich ein mittelständisches Unternehmen mit 250 Mitarbeitern vor. Für diesen Betrieb heißt es, dass gerade mal sechs sachgrundlos befristete Mitarbeiterverträge vorliegen dürfen. Für schnell wachsende Unternehmen oder solche, die flexibel auf Saisonzeiten reagieren müssen, stellt dies eine massive Einschränkung dar.

Insbesondere Berufseinsteiger beklagen, dass – bevor ein fester Arbeitsvertrag angeboten wird – eine Befristung auf die andere folgt. Wird sich hier etwas ändern?

Die sogenannten Kettenbefristungen sollen eingeschränkt werden. So ist die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. Tätigkeiten des betreffenden Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer für einen oder verschiedene Verleiher werden dabei künftig angerechnet. Ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ist erst nach Ablauf von drei Jahren möglich.

Viele Mitarbeiter wünschen mehr Flexibilität in der Arbeit – seien es junge Familien oder Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Kommen wir dem Gedanken der neuen Arbeitswelten in den kommenden vier Jahren näher?

Ergänzend zu den bislang bestehenden Möglichkeiten nach dem Teilzeit- und Befristungsrecht ist das Recht auf befristete Teilzeit im Koalitionsvertrag enthalten. Danach kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, die Verringerung der vertraglich festgelegten Arbeitszeit für einen im Voraus bestimmten Zeitraum verlangen. Dies gilt allerdings nur für Unternehmen, die in der Regel mehr als 45 Mitarbeiter beschäftigen. Unternehmen, die 46 bis 200 Mitarbeiter beschäftigen, müssen diesen Anspruch je einem von 15 Mitarbeitern gewähren. Der Arbeitgeber kann eine befristete Teilzeit aber durchaus ablehnen, wenn diese ein Jahr unter- oder fünf Jahre überschreitet. Hiervon kann durch tarifvertragliche Regelungen abgewichen werden. Während der befristeten Teilzeit soll kein Anspruch auf Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit bestehen. Nach Ablauf der befristeten Teilzeitarbeit kann die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung  er Arbeitszeit verlangen. Nach der bislang geltenden Rechtslage hat der Arbeitnehmer nach § 8 TzBfG lediglich einen Anspruch auf langfristige Verringerung seiner Arbeitszeit. Ein Rückkehrrecht in die bisherige Arbeitszeit bestand bislang nicht.

Sonst ist also keine Flexibilisierung in Sicht?

Die Parteien der Großen Koalition verstehen das Zeitalter der Digitalisierung als Chance auf mehr und bessere Arbeit. Neue Geschäftsmodelle sollen gefördert und gleichzeitig die Tarifbindung gestärkt werden. Zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten sieht der Koalitionsvertrag vor, eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz zu schaffen, um mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität zu erproben. Insbesondere die wöchentliche Höchstarbeitszeit, so ist angedacht, können dann durch Betriebsvereinbarungen flexibler geregelt werden. Auch mobile Arbeit soll gefördert werden. Es ist geplant, dass Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch über die Entscheidungsgründe der Ablehnung mobiler Arbeit von Seiten des Arbeitgebers erhalten. Eine willkürliche Ablehnung, so hofft man, ist dann durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich und das System wird transparenter.

In vielen Branchen ist es wichtig, Arbeitskräfte auf Abruf vorzuhalten. Sind auch hier Änderungen geplant?

Ja, die Regierung möchte den betroffenen Arbeitnehmern mehr Planungs- und Einkommenssicherheit geben. Das ist verständlich, denn dieses Arbeitszeitmodell frustriert in hohem Maße. Der Anteil der Abrufarbeit soll die vereinbarte Mindestarbeitszeit um höchstens 20 % unter- und um 25 % überschreiten dürfen. Fehlt eine Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit, so gilt zukünftig eine Arbeitszeit von 20 anstatt bisher nur zehn Stunden. Auch im Bereich der Entgeltfortzahlung bei Abrufarbeit wird Klarheit geschaffen: Im Krankheitsfall und an Feiertagen wird der Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate als verpflichtende Grundlage festgeschrieben.

Im letzten Jahr war die Arbeitnehmerüberlassung ein großes Thema. Gibt es hier Nachbesserungen?

Das ist geplant. Anders als in den Koalitionsgesprächen wird es Nachbesserungen aber erst 2020 geben. Doch auch beim Thema Mindestlohn gibt es noch einiges zu tun. So hat das Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung festgestellt, dass knapp 10 % der Beschäftigten und damit 2,7 Millionen Beschäftigte 2016 nicht den Mindestlohn erhielten, obwohl er ihnen zugestanden hätte. Vor allem die Nahrungs- und Dienstleistungsbranche umgehen die Vorgaben. Zumeist wird bei den Dokumentationen getrickst. Somit sind stärkere Kontrollen gefragt, um die Erwerbsarmut weiter einzudämmen. Vielen Dank.

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