Sportwagen statt Erbschaft?

Kernaussage

Die Testierfreiheit einer Person wird durch das verfassungsrechtlich geschützte Pflichtteilsrecht, das die engsten Familienangehörigen (Kinder, Ehegatten und gegebenenfalls Eltern) schützt, eingeschränkt. Um diese Schranke zu beseitigen, muss ein notarieller Pflichtteilsverzichtvertrag abgeschlossen werden. Noch weiter reicht ein Erbverzicht, der ebenfalls der notariellen Beurkundung bedarf. Erklärt ein Kind den Erbverzicht gegenüber einem Elternteil, dann gilt dieses Kind als erbrechtlich nicht existent. Angesichts dieser weitreichenden erbrechtlichen Folgen erfolgen Pflichtteilsverzichte, jedenfalls aber Erbverzichte, regelmäßig gegen Abfindungsleistungen. Das Oberlandesgericht Hamm hatte nunmehr darüber zu befinden, ob ein erklärter Erbverzicht wegen Sittenwidrigkeit angefochten werden kann.

Sachverhalt

Ein Unternehmer hatte seinen sportwagenbegeisterten Sohn, der bei seiner Mutter lebte, nach dessen Schulabbruch bei sich aufgenommen. Der Sohn begann eine Ausbildung im unternehmensnahen Bereich. Parallel kaufte der Unternehmer einen Sportwagen mit einem Wert von rund 100.000 € den er dem Sohn auch zum Fahren überließ. Kurz nach dem 18. Geburtstag des Sohnes nahm der Unternehmer diesen mit zu einem Notartermin, in dem der Sohn einen Pflichtteils- und Erbverzicht erklärte. Als Abfindung sollte er an seinem 25. Geburtstag den Sportwagen erhalten, wenn er bis dahin die Ausbildung mit \"sehr gut\" abgeschlossen hätte. Im Anschluss brach der Sohn die Ausbildung aber ab und kehrte zu seiner Mutter zurück. Zugleich klagte er auf Feststellung, dass sein erklärter Erb- und Pflichtteilsverzicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Hamm gab dem Sohn Recht. Der notarielle Vertrag sei sittenwidrig, weil er durch den Unternehmer unter Ausnutzung eines erheblichen Ungleichgewichts zustande gekommen sei. Verzicht und Abfindung seien vertraglich fest miteinander verbunden. Zugleich stehe der Verzicht unter keiner Bedingung, wohingegen die Abfindung unter weiteren Bedingungen stehe, die angesichts ihrer Verknüpfung mit einer erfolgreichen Berufsausbildung im unternehmensnahen Beruf noch dazu eine Einschränkung in der Berufswahl des Sohnes darstelle. Hinzu komme, dass der Vater die Unerfahrenheit des Sohnes ausgenutzt habe. So habe der Sohn den Vertrag vor der Beurkundung nicht gekannt und der Vater habe mit dem Abschluss bewusst abgewartet, bis der Sohn volljährig geworden ist. Zudem habe der Vater die Begeisterung seines Sohnes für den Sportwagen ausgenutzt, um sich so ohne angemessene Abfindung in eine erbrechtliche uneingeschränkte Position zu bringen.

Konsequenz

Die Entscheidung beleuchtet sicherlich einen Extremfall, mit ihr eröffnet das Gericht aber die Möglichkeit, Erbverzichte und gegebenenfalls auch Pflichtteilsverzichte auf ihre Sittenwidrigkeit hin überprüfen zu können; auch wenn das Gericht in seiner Begründung im Wesentlichen auf den Erbverzicht abstellt. Eine ähnliche Konstellation gab es mit Beginn der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen. Mit anderen Worten: Man wird bei Pflichtteils- und Erbverzichten in der Zukunft ein größeres Augenmerk auf die Verhandlungspositionen der Vertragspartner und die Angemessenheit der Abfindung legen müssen.

Gereon Gemeinhardt, M.B.L.-HSG

Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Erbrecht

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