Die virtuelle Mitgliederversammlung im Vereinsrecht — Corona-Krise stellt Vereinsrecht vor ein bekanntes Problem — Gesetzgeber reagiert

 

Auswirkungen der Corona-Krise auf das Vereinsrecht

Das Coronavirus hat mittlerweile fast alle Rechtsgebiete infiziert. Auch das Vereinsrecht stellt dabei keine Ausnahme dar. Die Maßnahmen der Regierung dienen dazu die Zusammenkunft von Menschen zu verhindern. Für das Vereinsrecht stellt sich deswegen die Frage, in welchem Umfang Mitgliederversammlungen oder Vorstandssitzungen ohne die körperliche Anwesenheit der Mitglieder abgehalten und Beschlüsse gefasst werden können. 

Beschlussfassung der Mitgliederversammlung und des Vorstands durch virtuelle Versammlungen

Die Mitgliederversammlung ist oberstes Organ des Vereins. Sie trifft durch Beschlussfassung Bestimmungen in allen Angelegenheiten, die nicht von dem Vorstand zu besorgen sind. Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist für die Beschlussfassung die Einberufung einer Versammlung erforderlich. Das Gesetz geht also von der Präsenzversammlung aus. 

Von diesem Grundsatz sieht das Gesetz eine Ausnahme ausdrücklich vor. Ohne eine Versammlung ist ein Beschluss der Mitgliederversammlung gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklärt haben. Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form ersetzt werden, wobei eine einfache E-Mail ohne Signatur ungenügend ist. 

Eine weitere anerkannte Ausnahme vom Grundsatz der physischen Zusammenkunft hat eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im Jahr 2012 etabliert. Eine Mitgliederversammlung durch körperliche Zusammenkunft ist nicht erforderlich, wenn die Satzung des Vereins dies ausdrücklich vorsieht. Dabei können alle modernen Kommunikationsmittel wie Chat-Rooms, Bildschirmübertragungen aber auch Telefone genutzt werden. Entscheidend ist nur, dass alle Mitglieder die gleichen Bedingungen haben. 

Eine virtuelle Versammlung ist also unstreitig zulässig, wenn entweder eine Allzustimmung vorliegt oder wenn die Satzung des Vereins eine virtuelle Versammlung zulässt. 

Herrschende Meinung: Versammlung beinhaltet die Anwesenheit am selben Ort

Umstritten ist, ob eine virtuelle Versammlung auch dann zulässig ist, wenn weder eine Satzungsgrundlage noch eine Allzustimmung gemäß § 32 Abs. 2 BGB vorliegt. Nach einer Auffassung in der Literatur sind virtuelle Versammlungen in Analogie zu § 32 Abs. 2 BGB möglich, wenn sämtliche Mitglieder des Vereins diesem Verfahren zustimmen. Im Gegensatz zur Allzustimmung, bezieht sich die Abstimmung hier auf das Verfahren und nicht auf den Gegenstand der Beschlussfassung. Andere gehen noch weiter, indem sie auch die virtuellen Versammlungen als „Versammlung der Mitglieder“ im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 1 BGB qualifizieren, wenn alle Mitglieder in gleicher Weise Zugang zu einer virtuellen Versammlung haben. Diese beiden Ansichten stellen bislang aber Mindermeinungen dar. Die im Gesetz vorgesehene „Versammlung“ beinhaltet nach herrschender Meinung die Anwesenheit am Ort. 

Das Gleiche gilt für die Sitzungen und Beschlussfassungen des Vorstands eines Vereins, denn das Gesetz verweist insofern auf gesetzliche Regelungen über die Beschlussfassung der Mitgliederversammlung. 

Konsequenz

Der Meinungsstreit um die virtuelle Mitgliederversammlung ist ein bekanntes Thema im Vereinsrecht, welches durch die Corona-Krise an Aktualität gewinnt. Fraglich ist aber, ob die jetzige Krisenlage die bislang herrschende Meinung verdrängt. Aus Vorsichtsgründen ist den Vereinen zu empfehlen, ohne Allzustimmung oder Satzungsregelung auf virtuelle Versammlungen zu verzichten oder sich über die Anerkennung von virtuellen Beschlüssen mit dem Vereinsregister abzustimmen. 

Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Vereins-, Genossenschafts- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen des Coronavirus

Die Bundesregierung hat auf diese weit verbreitete Problematik im Rahmen des Gesetzentwurfs zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht reagiert und sieht in Artikel 2 des Entwurfs das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Vereins-, Genossenschafts- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Infektionen mit dem SARSCoV-2-Virus vor. 

Danach gilt gemäß § 5 Abs. 2 für im Jahr 2020 stattfindende Mitgliederversammlungen abweichend von § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB, dass der Vorstand auch ohne ausdrückliche Satzungsermächtigung Vereinsmitgliedern ermöglichen kann, entweder an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben oder ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abzugeben.

Hierdurch können nun „virtuelle“ Mitgliederversammlungen durchgeführt werden. Zudem wird auch Mitgliedern, die nicht an der Mitgliederversammlung teilnehmen (können), ermöglicht, ihr Stimmrecht auszuüben. Durch die Regelung ist es auch möglich, dass ein Teil der Mitglieder oder Vorstandsmitglieder an einem bestimmten Ort zusammenkommt und andere Mitglieder an der Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation teilnehmen.

Darüber hinaus regelt § 5 Abs. 3, dass abweichend von § 32 Abs. 2 BGB ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder (sogenanntes Umlaufverfahren) gültig ist, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform nach § 126b BGB (z.B. durch Email oder Telefax) abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.

Durch diese Regelungen werden somit sowohl das Anwesenheitserfordernis sämtlicher Mitglieder als auch das Einstimmigkeitserfordernis des § 32 Abs. 2 BGB außer Kraft gesetzt.

Mehrheitserfordernisse sind vom Gesetz nicht betroffen

Zu beachten ist, dass ausdrücklich nicht die im Gesetz oder der Satzung geregelten Mehrheitserfordernisse geändert werden. Soweit in der Vereinssatzung nichts Abweichendes geregelt ist, ist für die Zweckänderung weiterhin nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich, für Satzungsänderungen gilt die Drei-Viertel-Mehrheit nach § 33 Abs. 1 BGB, soweit in der Satzung keine andere Mehrheit geregelt ist. 

Zur Sicherung des Fortbestands des Vorstands, sollte dessen Amtszeit ablaufen, ohne dass neue Organmitglieder bestellt werden können, stellt das Gesetz zudem klar, dass ein Vorstandsmitglied eines Vereins auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt verbleibt.  

Das Gesetz tritt nach Verkündung im Bundesgesetzblatt kurzfristig in Kraft, nachdem es am Freitag, 27.3.2020 im Bundesrat verabschiedet, sodann gegengezeichnet und vom Bundespräsidenten ausgefertigt worden ist. 

Im Übrigen berechtigt die derzeitige Situation nicht zum Hinwegsetzen über Satzungsvorgaben. Die Satzung ist – mit Ausnahme der vorgenannten Erleichterungen – zwingend einzuhalten. Dies gilt insbesondere auch für das Verschieben von Mitgliederversammlungen, zu denen bereits eingeladen wurde. Hierbei handelt sich um die Absetzung der anberaumten und der Einberufung einer neuen Mitgliederversammlung unter Beachtung sämtlicher Form- und Fristerfordernisse. Ein einfaches Schreiben unter Nennung des neuen Termins genügt daher in diesen Fällen gerade nicht.

Dr. Olaf Lüke

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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