Versicherungsentschädigungen für „Verdienstausfall“ immer steuerpflichtig?
Kernaussage
Entschädigungen, die zur Abgeltung von erlittenen oder zu erwartenden Einnahmeausfällen geleistet werden, zählen zu den steuerlichen Einkünften. Sie begründen keine eigene Einkunftsart, sondern werden grundsätzlich der Einkunftsart zugeordnet, deren Verlust ersetzt werden soll. Beispiel: Wird ein Arbeitnehmer infolge einer schuldhaften Körperverletzung berufsunfähig, unterliegen die erhaltenen Ersatzzahlungen für den Verdienst- und Einkommensausfall als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit der Einkommensteuer. Der Bundesfinanzhof hatte sich jüngst der Frage anzunehmen, ob Entschädigungszahlungen auch dann der Besteuerung unterliegen, wenn sie für den Verlust hypothetisch erzielbarer zukünftiger Einkünfte geleistet werden.
Sachverhalt
Die Klägerin erlitt im Alter von zwölf Jahren einen schweren Verkehrsunfall, in dessen Folge sie schwere körperliche und geistige Folgeschäden davontrug, die es ihr unmöglich machten, jemals eine Berufsausbildung zu beginnen und Arbeitseinkommen zu erzielen. Nach jahrelangem juristischen Tauziehen leistete die Versicherung des Unfallverursachers eine als „Verdienstausfall“ bezeichnete Zahlung von 695.000 €. Das Finanzamt qualifizierte die Versicherungsleistung als steuerpflichtige Entschädigung, ebenso das Finanzgericht. Begründung: Die Versicherungsleistung sei von allen Beteiligten ausdrücklich als „Verdienstausfall“ bezeichnet und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen in Form fiktiven Erwerbseinkommens gewährt worden.
Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Der Bundesfinanzhof sah das anders: Die Steuerbarkeit einer Versicherungsleistung erfordere nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung stets einen kausalen Zusammenhang zwischen der Entschädigungszahlung einerseits und einem damit verbundenen Ausgleich entgangener steuerbarer Einnahmen aus einer bestimmten Einkunftsart andererseits. Diese Kausalität konnten die Richter im vorliegenden Fall nicht erkennen, da die Entschädigung einem Kind zugestanden wurde, das zu diesem Zeitpunkt noch über keinerlei Erwerbseinkommen verfügte. Zwar sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass ein junger Mensch sein ganzes Leben ohne jegliche Einkünfte bleiben wird; die Unterstellung eines hypothetischen Erwerbslebens lasse jedoch keinen Rückschluss auf eine bestimmte Einkunfts- bzw. Erwerbsquelle zu. Die Entschädigung wurde nach Ansicht der Richter als Ausgleich dafür geleistet, dass die geschädigte Klägerin um die Chance gebracht wurde, sich überhaupt ein Erwerbsleben aufbauen zu können und nicht – was Voraussetzung für die Steuerbarkeit der Versicherungsleistung gewesen wäre – als Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten Einkunftsquelle.
Konsequenz
Bereits mehrfach musste sich der Bundesfinanzhof des Themenkreises Steuerbarkeit von Entschädigungsleistungen annehmen und wurde dabei nicht müde zu betonen, dass sich deren Steuerpflicht nicht daran festmacht, wie die Leistung bezeichnet wird, sondern zu welchem Zweck sie erfolgt. Einkommensteuerlich beachtlich sind grundsätzlich Entschädigungsleistungen für entgangene und zukünftig entgehende steuerpflichtige Einnahmen. Letztere aber nur dann, wenn sie eindeutig einer bestimmten Einkunftsart zuzuordnen sind. Die rein hypothetische Unterstellung, dass ein Geschädigter, der noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und noch nie Anspruch auf Arbeitslohn hatte, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit künftig Arbeitseinkünfte erzielen wird, reicht jedenfalls nicht aus, um die Steuerbarkeit zu begründen.