Verfall und Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen

Kernaussage

Zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs sorgen aktuell für ein Umdenken in Bezug auf den Umgang mit Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern. So wurde entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb zum Ende eines Jahres verfallen darf, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat. Außerdem dürfen Erben Ausgleichszahlungen von dem ehemaligen Arbeitgeber eines verstorbenen Arbeitnehmers für nicht in Anspruch genommenen Urlaub verlangen.

Sachverhalt

Hintergrund für die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs waren jeweils Fälle aus Deutschland: Geklagt hatten zum einen ein beim Land Berlin angestellter Rechtsreferendar sowie ein Angestellter der Max-Planck-Gesellschaft. In beiden Fällen endete das Arbeitsverhältnis, bevor alle Urlaubstage durch die Arbeitnehmer genommen werden konnten. Als Ausgleich verlangten beide von ihren ehemaligen Arbeitgebern die Zahlungen von Urlaubsabgeltungen, die aber abgelehnt wurden. Zum anderen lagen dem Europäischen Gerichtshof die Klagen von zwei Witwen aus Deutschland vor. Beide forderten Ausgleichszahlungen von den ehemaligen Arbeitgebern ihrer verstorbenen Ehepartner für Urlaub, die beide Ehepartner vor deren Tod nicht in Anspruch genommen hatten.

Entscheidung

Im deutschen Arbeitsrecht galt bisher, dass bis zum Jahresende nicht genommene Urlaubstage verfallen, außer der Arbeitgeber gewährte eine Verlängerung oder es galt die gesetzlich vorgesehene Verlängerung bis Ende März des Folgejahres. Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs darf die Verantwortung für nicht genommenen Urlaub jedoch nicht alleine beim Arbeitnehmer liegen. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub darf daher nur dann verfallen, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Lage war, seinen Urlaub bis zum Jahresende in Anspruch zu nehmen. Dies könne man indes nur dann annehmen, wenn der Arbeitnehmer aktiv durch den Arbeitgeber aufgefordert wird, seinen Urlaub zu nehmen, und gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des zulässigen
Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses verfallen wird. Daneben hat der Europäische Gerichtshof betont, dass Arbeitnehmer auch Anspruch auf Bezahlung während des Urlaubs haben. Aber auch dessen Erben haben Anspruch gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber auf finanziellen Ausgleich für Urlaub, den der verstorbene Arbeitnehmer nicht mehr nehmen konnte. Unter Berücksichtigung der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs muss nun das deutsche Bundesarbeitsgericht neu entscheiden.

Konsequenz

Für die Praxis haben die Urteile wohl jetzt schon zur Folge, dass Arbeitgeber deutlich aktiver im Hinblick auf noch bestehende Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer werden müssen. Ob Arbeitgeber jetzt aber zukünftig jeden einzelnen Mitarbeiter zum Urlaub drängen und individuell auf die Folgen hinweisen müssen oder ob eine allgemeine Information an alle Arbeitnehmer ausreicht, wird man bis zu den endgültigen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts abwarten müssen.

Alexandra Hecht

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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