Vertrags- und Gewährleistungsrecht im Lichte des Brexits

 

Das Vereinigte Königreich (UK) war im Jahr 2019 der siebtwichtigste Handelspartner Deutschlands. Es wurden Waren im Wert von über 80 Mrd. € nach UK exportiert. Handel basiert auf Verträgen. Das Gleiche gilt für den Dienstleistungsverkehr und für Lizenzen. 

Was ändert sich mit dem Brexit für bestehende Verträge? Diese Frage muss zunächst danach beantwortet werden, welches Recht auf das Vertragsverhältnis Anwendung findet. Geregelt ist diese Frage in der „Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ (Rom I). Danach gilt zunächst eine von den Parteien getroffene Rechtswahl. Ist keine Rechtswahl getroffen, bestimmt die Verordnung, nach welchen Anknüpfungspunkten das einschlägige Recht bestimmt wird. Die Frage nach der für das Vertragsverhältnis einschlägigen Rechtsordnung ist gemäß Rom-I-Verordnung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu bestimmen. Aus diesem Grund ändert sich für laufende Verträge durch den Brexit nichts. 

Geschlossene Verträge haben grundsätzlich Bestand

Was gilt aber, wenn sich durch den Brexit die Rahmenbedingungen eines bestehenden Vertrags grundlegend geändert haben? Besteht dann ein Recht auf Vertragsanpassung oder kann sich ein Vertragspartner von dem Vertrag lösen? 

Zunächst einmal gilt sowohl im deutschen Recht als auch im UK-Recht der Grundsatz „pacta sunt servanda“, das heißt, dass geschlossene Verträge einzuhalten und zu erfüllen sind. Dies gilt auch dann, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. 

Eine Ausnahme besteht für den Fall, wenn aufgrund höherer Gewalt die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung unmöglich geworden ist. Der Brexit wird allerdings in den meisten Fällen nicht zur Unmöglichkeit einer Leistung führen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist es äußerst zweifelhaft, ob der bewusst herbeigeführte Austritt aus der EU ein Fall höherer Gewalt ist. 

Abwägen: Ist ein Festhalten am Vertrag zumutbar?

Sofern die Leistungserbringung noch möglich, aber gegebenenfalls (wirtschaftlich) nicht mehr sinnvoll ist, könnte aber nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (nach UK-Recht: significant change of circumstances) ein Anspruch auf Vertragsanpassung oder Vertragsbeendigung bestehen. Dies ist immer dann der Fall, wenn für eine Partei das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Es ist die Frage zu stellen, ob die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der neuen Umstände (also des Brexits) nicht oder mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten. Bei Beantwortung dieser Frage ist der 20.2.2016 von entscheidender Bedeutung. Dies war der Tag, an dem die britische Regierung öffentlich verkündet hat, dass ein Brexit-Referendum durchgeführt wird. Ab diesem Zeitpunkt hatten die am Wirtschaftsleben Beteiligten Kenntnis davon, dass es gegebenenfalls zu einem Brexit kommen kann. Bei Verträgen, die nach diesem Tag abgeschlossen wurden, muss also zunächst davon ausgegangen werden, dass der Vertragsschluss in Kenntnis eines etwaigen Brexits erfolgt ist. Bei Verträgen, die zuvor abgeschlossen wurden, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob und inwiefern ein Festhalten am Vertrag durch den Brexit unzumutbar wird. 

Achten Sie auf Auslegungen 

Von der Vertragsanpassung ist die Auslegung eines bestehenden Vertrags zu unterscheiden. Diese Frage wird sich in Zukunft sehr häufig stellen, wenn in einem Vertrag auf das „Gebiet der Europäischen Union“ Bezug genommen wurde. Hier stellt sich die Frage, ob der Verweis auf die EU als statische oder als dynamische Verweisung von den Parteien verstanden wurde. Im Fall der statischen Verweisung ist das Gebiet der EU bei Vertragsschluss (also mit UK) gemeint. Bei einer dynamischen Verweisung ist das jeweilige Gebiet der EU gemeint, was zur Folge hat, dass UK ab dem 1.2.2021 nicht mehr Vertragsgebiet ist. Regelungen dieser Art finden sich sehr häufig in Vertriebsvereinbarungen, die beispielsweise ein exklusives Vertriebsrecht für das Gebiet der EU begründen, sowie in Wettbewerbsverboten oder in Lizenzverträgen, die das Recht zur Nutzung einer Marke in der EU begründen. Hier stellt sich die Frage, ob die Exklusivrechte oder Verbote auch nach dem Brexit noch UK erfassen. Entscheidend ist, welche Vorstellungen die Parteien im konkreten Einzelfall bei Vertragsschluss gehabt hatten. 

Fazit

Mit dem Brexit entfallen diverse Erleichterungen, die die Europäische Union für den zwischenstaatlichen Rechtsverkehr geschaffen hat. Dies gilt u.a. für die Anerkennung, Zustellung und Vollstreckung von Titeln. Die betreffenden Regelungen werden ab dem 1.1.2021 für UK keine Geltung mehr haben. Dasselbe gilt für das europäische Mahnverfahren, mit dem Gläubiger bislang EU-weit schnell und kostengünstig einen Mahnbescheid erlangen konnten. 

Dr. Olaf Lüke

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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