Bundesarbeitsgericht: Equal Pay trotz besseren Verhandlungsgeschicks

Hintergrund

Das BAG setzt einen weiteren Meilenstein in seiner bisherigen Equal-Pay-Rechtsprechung und stärkt weiter die Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. So hat das Gericht nun entschieden, dass vergleichbare Arbeitnehmer:innen unterschiedlichen Geschlechts nicht allein deshalb unterschiedliches Gehalt erzielen können, weil der eine Arbeitnehmer ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt.

Was ist passiert?

Es klagte eine Außendienstmitarbeiterin, die seit März 2017 im Vertrieb eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie beschäftigt war. Das Anfangsgehalt der Klägerin betrug 3.500 € brutto nebst einer leistungsabhängigen Zusatzvergütung. Ab August 2018 richtete sich die Grundvergütung nach einem Haustarifvertrag. Der Eingruppierung entsprechend war für die Klägerin ein Grundgehalt in Höhe von 4.140 € brutto vorgesehen. Wegen einer Deckelungsregelung im Tarifvertrag für die Anpassung der Vergütung zahlte die Beklagte der Klägerin ab August 2018 zunächst ein Grundentgelt von 3.620 €, das in jährlichen Schritten angehoben werden sollte.

Nahezu zeitgleich mit der Klägerin stellte die Beklagte einen weiteren, allerdings männlichen Außendienstmitarbeiter ein. Die Beklagte hatte ihm dasselbe Gehalt angeboten wie der Klägerin, doch hatte der männliche Bewerber bereits im Vorstellungsgespräch ein höheres Gehalt verlangt. Letztlich hatten sich die Parteien auf ein monatliches Grundgehalt von 4.500 € brutto bis zum Zeitpunkt des Einsetzens einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung geeinigt. Von November 2017 bis Juli 2018 zahlte die Beklagte ihm sodann ein Grundgehalt von 3.500 € brutto nebst Zusatzvergütung und erhöhte das Grundentgelt ab dem 1.7.2018 sogar auf 4.000 € brutto. In entsprechender Anwendung der Deckelungsregelung des Haustarifvertrags betrug das Bruttomonatsentgelt ab August 2018 4.120 €.

Die Klägerin sah in dieser unterschiedlichen Vergütungsvereinbarung bei gleichwertiger Arbeit eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Sie forderte von der Beklagten die Nachzahlung der Differenz zu dem Gehalt ihres männlichen Kollegen (insgesamt rund 15.000 €), außerdem für die erlittene Ungleichbehandlung eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Höhe von 6.000 €.

BAG stellt Ungleichbehandlung fest

Dass die Klägerin und ihr männlicher Kollege ungleich vergütet wurden, stand fest. Das Arbeitsgericht Dresden und das Landesarbeitsgericht Sachsen sahen den Gehaltsunterschied durch das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Mitarbeitergewinnung als gerechtfertigt an. Ohne die von dem männlichen Bewerber geforderte Erhöhung des Gehalts hätte dieser keine Stelle bei der Beklagten angetreten. Das BAG folgt den Vorinstanzen mit seiner Entscheidung jedoch nicht, sondern sieht einen Verstoß gegen das Entgelttransparenzgesetz. 

Das Erzielen eines niedrigeren Grundgehalts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit begründe bei nicht gleichgeschlechtlichen Arbeitnehmer:innen die Vermutung des § 22 AGG, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt sei. Damit folgt das BAG seiner bisherigen Rechtsprechung in einem Fall, in dem die Gehälter von nur zwei einzelnen Personen miteinander zu vergleichen waren. Im Prozess hat der Arbeitgeber die Vermutung der Ungleichbehandlung nicht entkräften können. Der Pressemitteilung des BAG ist zu entnehmen, dass er sich sowohl auf ein besseres Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen berufen hatte als auch auf den Umstand, dass der männliche Arbeitnehmer einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei. Beides hält das BAG für nicht ausreichend. Demnach habe die Klägerin nach §§ 3, 7 EntgTranspG einen Anspruch auf das gleiche Grundgehalt wie ihr männlicher Kollege sowie auf einen immateriellen Entschädigungsanspruch aus § 15 AGG. 

Worauf müssen Arbeitgeber nun achten?

Abzuwarten bleibt, welche praktischen Folgen das Urteil des BAG haben wird. Schon seit einigen Jahren enthält das Entgelttransparenzgesetz die (auch vorher schon gültige) ausdrückliche Vorgabe, nach der einem Beschäftigten für gleiche Arbeit nicht wegen des Geschlechts ein geringeres Entgelt gezahlt werden darf als einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Ungeachtet dessen dürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen das Gehalt frei verhandeln – wenn auch unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen wie des Mindestlohngebots und gegebenenfalls unter Beachtung tariflicher Bindungen. Auch zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts sind unterschiedlich hohe Gehälter nach wie vor zulässig, nur darf das Geschlecht nicht den Grund für die Ungleichbehandlung bilden. 

Das sollte selbstverständlich sein, und schon aus innerbetrieblichen Erwägungen bemühen sich die meisten Arbeitgeber um eine einigermaßen ausgewogene Gehaltsstruktur. Besondere Vorsicht sollte fortan aber jedenfalls immer dann gelten, wenn vergleichbare Arbeitnehmer:innen unterschiedlichen Geschlechts ungleich vergütet werden. Arbeitgeber sollten sich kritisch hinterfragen, ob ihre Gehaltsvereinbarungen nicht doch durch das Geschlecht (oder durch andere unzulässige Kriterien wie insbesondere die Herkunft oder das Alter der Betroffenen) beeinflusst sind. Dennoch werden auch künftig teils beträchtliche Gehaltsunterschiede in der Praxis vorkommen, jedenfalls außerhalb tariflicher Bindung. Das ist nicht unzulässig. Wir raten jedoch dazu, bei Einstellungen und Gehaltserhöhungen die Gründe für die Gehaltsentscheidung zumindest stichwortartig zu notieren und diese Notiz in der Personalakte aufzubewahren. Im Falle einer auf Lohngleichheit gerichteten Klage sind diese Gründe vorzutragen und gegebenenfalls auch zu beweisen. Zeitnahe Notizen vorlegen zu können dürfte die Glaubhaftigkeit des Vortrags dabei gegenüber der nachträglichen Begründung erst im Prozess deutlich erhöhen.

Denn nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz trifft den Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen eines objektiven Sachgrundes, der eine unterschiedliche Vergütung rechtfertigen kann. Dabei steht nach der aktuellen BAG-Entscheidung fest, dass allein das Argument, der eine Bewerber habe für eine vergleichbare Stelle mehr Gehalt gefordert als der andere, für sich genommen nicht genügen wird. Unter welchen Voraussetzungen zwei Arbeitsverhältnisse überhaupt miteinander vergleichbar sind und welche Differenzierungskriterien dann in Betracht kommen, ist bislang nur unzureichend geklärt. Auch künftig werden beispielsweise die Berufserfahrung, die Qualifikationen sowie die Betriebszugehörigkeit sicherlich beachtenswerte Differenzierungskriterien bleiben.

Unterstellt das BAG Frauen eine weniger ausgeprägte Verhandlungsfähigkeit?

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob ganz allgemein schon beim Vergleich einzelner Arbeitnehmer:innen vom Indiz der Benachteiligung auszugehen ist. Mit der aktuellen Entscheidung belegt das BAG jedenfalls seine Bereitschaft, den gesetzlichen Vorgaben Zähne zu verschaffen: Die schlechter vergütete Arbeitnehmerin erhält neben einem ziemlich überschaubaren Schmerzensgeld die Lohndifferenz nachbezahlt. Vertreter der Geschlechtergerechtigkeit feiern die Entscheidung als wichtigen Sieg; Anhänger der Vertragsfreiheit halten zumindest die weitreichende Indizwirkung für unangebracht.  

Bewerber desselben Geschlechts können keine Gleichbehandlung verlangen, obwohl die Praxis zeigt, dass auch zwei Frauen oder zwei Männer durchaus unterschiedliche Gehaltsvorstellungen bei vergleichbaren Voraussetzungen äußern. Vermutlich liegt hierin die gesellschaftliche Brisanz der Entscheidung. Denn das zentrale Topos der bislang bekannten Urteilsbegründung wirft Fragen auf. Es scheint, als halte das BAG die unterschiedlichen Vergütungsforderungen der beiden Bewerber deshalb für kein sachliches Unterscheidungskriterium, weil Frauen im Mittel zurückhaltender über das eigene Gehalt verhandeln als Männer. Man kann trefflich darüber streiten, ob es richtig ist, vom einzelnen Arbeitgeber zu verlangen, gegen diese Statistik – unterstellt, sie trifft zu – anzugehen, es also als diskriminierend anzusehen, wenn jeder Bewerber, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft usw. seine Wunschvergütung erhält. 

BAG, Urteil vom 16.2.2023 – Az. 8 AZR 450/21 (Urteilsgründe bislang nicht veröffentlicht; Pressemeldung liegt vor)

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Michael Huth

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