Wegweisendes Urteil aus Berlin: Wann besteht kein Annahmeverzugslohnanspruch wegen böswillig unterlassenen Verdienstes?

Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens – und doch noch offene Fragen

Kündigungsschutzprozesse sind für beide Seiten unangenehm. Umso größer ist die Erleichterung, wenn ein Gericht über die Kündigungsschutzklage entschieden hat oder die Parteien sich auf einen Vergleich geeinigt haben. Ganz ausgestanden sind die Meinungsverschiedenheiten dann jedoch nicht immer. Häufig besteht noch Uneinigkeit über Ansprüche auf Urlaub, Zeugnis oder Annahmeverzugslohn. Zum Annahmeverzugslohn hat das LAG Berlin-Brandenburg am 30.9.2022 eine aufschlussreiche Entscheidung getroffen.

Worum ging es in dem Urteil? Welche Verpflichtungen hat der Arbeitnehmer, anderweitig Geld zu verdienen?

Der Entscheidung lag ein Rechtsstreit über noch ausstehende Urlaubs- und Zahlungsansprüche des Klägers zugrunde. Dieser hatte zuvor ein Kündigungsschutzverfahren gegen seine Arbeitgeberin, die jetzige Beklagte, gewonnen. Nunmehr wurde er dort weiterbeschäftigt. Nachdem der Kläger die zuvor streitgegenständliche Kündigung erhalten hatte und die Kündigungsfrist abgelaufen war, wurde er durch die Arbeitgeberin nicht weiterbeschäftigt. Zunächst lagen also die Voraussetzungen eines Annahmeverzugslohnanspruchs vor. In der Berufung hatte das LAG Berlin-Brandenburg nun darüber zu entscheiden, ob sich dieser reduzierte. Streitpunkt war die Frage, ob der Kläger Abzüge akzeptieren müsste, weil er es böswillig unterlassen hatte, anderweitigen Verdienst zu erzielen. 

Bestimmte Indizien können laut dem LAG Berlin-Brandenburg auf fehlende Bemühungen hinweisen. Möchten Arbeitnehmer:innen eine realistische Chance auf Annahmeverzugslohn haben, gilt daher Folgendes:

  • Die Arbeitnehmer:innen dürfen nicht untätig sein, wenn sich ihnen eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet.
  • Sie müssen eine ausreichende Anzahl an Bewerbungen schreiben. Eine Anzahl von weniger als einer Bewerbung pro Woche ist in einem Zeitraum, in dem die gekündigten Arbeitnehmer:innen ohne neues Arbeitsverhältnis sind, gering.
  • Sie müssen sich auf die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit bewerben oder zumindest Kontakt zu den potenziellen Arbeitgebern aufnehmen, um Informationen zu den angebotenen Stellen zu erhalten.
  • Haben die Arbeitnehmer:innen Bewerbungen geschrieben, müssen sie für die Unternehmen erreichbar sein, um die weitere Durchführung des Bewerbungsprozesses zu ermöglichen. 
  • Erhalten die Arbeitnehmer:innen von Arbeitgebern auf Bewerbungen keine Rückmeldung oder eine Absage, müssen sie nachfragen. 
  • Der Versand einer hohen Zahl nicht individualisierter Bewerbungen auf eine Vielzahl von Stellen kann ebenfalls ein Indiz für fehlendes Engagement sein.
  • Dass die Bundesagentur für Arbeit gegenüber einer Person keine Sanktionen ausspricht, spricht nicht automatisch dafür, dass diese:r Arbeitnehmer:in sich ausreichend um einen anderen Verdienst bemüht hat.

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Annahmeverzugslohn ist kein „Selbstläufer“. Arbeitnehmer:innen sollten ihre Verpflichtung, Bewerbungen zu schreiben und sich ernsthaft um Arbeit zu bemühen, ernst nehmen und erfüllen. Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass es sich in vielen Fällen lohnen kann, genau nachzuhaken, in welcher Weise sich (ehemalige) Arbeitnehmer:innen während eines Kündigungsschutzverfahrens um Arbeit bemüht haben und mit welchem Erfolg.

Es bleibt abzuwarten, ob sich andere LAGs den rechtlichen Ansichten des LAG Berlin-Brandenburg anschließen und wie möglicherweise das Bundesarbeitsgericht bei vergleichbaren Konstellationen entscheidet. 

Michael Huth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Alexandra Hecht

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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Alexander Kirsch

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

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