6 % Zinsen? Der Bundesfinanzhof zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit

Kernaussage

Derzeit werden Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit 6 % im Jahr verzinst. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Veranlagungsjahres und beträgt monatlich 0,5 %. Wenn z.B. ein geänderter Einkommensteuerbescheid 2015 im Juni 2018 zu einer Nachzahlung führt, fallen neben der Steuer für jeden vollen Monat ab April 2017 monatlich 0,5 % zusätzlich an. Das wären im Beispielsfall 14 volle Monate oder 7 %. Wie teuer das wird, wenn im Rahmen einer Betriebsprüfung ältere Jahre geprüft werden, ist leicht vorstellbar. Die Einkommensteuer 2013 würde dann im Juni 2018 bereits 19 % für den Fiskus zusätzlich einbringen. Man schätzt, dass die Finanzämter allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung in den letzten Jahren mehr als zwei Milliarden Euro an Zinsen vereinnahmt haben. Damit hat es in Zukunft hoffentlich ein Ende, denn der Bundesfinanzhof zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015.

Sachverhalt

Eheleute sollten nach einer Betriebsprüfung knapp zwei Millionen Euro Steuern nachzahlen. Das Finanzamt verlangte deshalb für den Zeitraum vom 1.4.2015 bis 16.11.2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von rund 240.000 Euro. Der Einspruch gegen die Zinsfestsetzung wurde beim Finanzamt anhängig, die Aussetzung der Vollziehung aber abgelehnt, so dass die Zinsen zur Zahlung fällig wurden. Mit ihrem hiergegen gerichteten gerichtlichen Antrag hielten die Eheleute ihr Aussetzungsbegehren aufrecht. Das Finanzgericht lehnte ab.

Entscheidung

Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt. Die Zinshöhe, die aus den Zeiten des Wirtschaftswunders im Jahr 1961 stammt, verletze mit der realitätsfernen Bemessung den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Für den Gesetzgeber ergebe sich die Pflicht zu einer Überprüfung, ob die gesetzliche Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert wurden.

Konsequenz

Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidung in einem Aussetzungsverfahren getroffen. Das betrifft die Frage, ob die bereits fälligen Zinsen zu zahlen sind oder bis zu einer Entscheidung im Hauptverfahren von der Vollziehung ausgesetzt bleiben. Weil bisherige Verfahren beim Bundesfinanzhof für ältere Jahre zumeist erfolglos abgewiesen wurden, kann die jetzige Entscheidung als deutlicher Hinweis gesehen werden, dass sich diese Rechtsprechungspraxis ändern könnte. Es ist daher anzuraten, entsprechende Zinsfestsetzungen in aktuellen Bescheiden mit Einspruch anzufechten und die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Allerdings hat die Entscheidung auch eine Kehrseite: Die bisher gut mit 6 % beim Finanzamt angelegten Steuererstattungen wären von einer Gesetzesänderung genauso betroffen.

Dr. Lutz Engelsing

Steuerberater

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Michael Mittmann

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